"Nixon in China" am Theater Koblenz

In der Halle des Volkes

John Adams: Nixon in China

Theater:Theater Koblenz, Premiere:19.05.2023Regie:Markus DietzeMusikalische Leitung:Marcus Merkel

Die Oper „Nixon in China“ wird derzeit viel gespielt. Nun hatte sie in einer großen Halle in Koblenz Premiere. Was eigentlich noch auf Corona-Vorgaben der verschobenen Inszenierung zurückgeht, erweist sich als passend zum historischen Machtspiel der beiden Weltmächte, das durchaus aktuelle Züge trägt.

Wie Richard Nixon und seine Delegation in der Oper, so müssen auch die Zuschauer in Koblenz zum imaginären Opernstaatsbesuch in Peking erstmal einfliegen. Natürlich nur im übertragenen Sinne. Für die Neuinszenierung von John Adams’ populärer und derzeit ziemlich oft auf Spielplänen anzutreffender Oper „Nixon in China“ geht es nämlich nicht ins Theater Koblenz, sondern in die abseits vom Standzentrum gelegene CGM-Arena. Eigentlich sollte es eine „normale“ Produktion fürs Theater werden und im März 2021 Premiere haben. Damals ließen die geltenden pandemiebedingten Einschränkungen bei den aufzubietenden Massen eine Aufführung im Stammhaus des Theaters jedoch nicht zu.

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Passende Ersatzlösung

Dass der Regisseur Markus Dietze und sein Ausstatter Christian Binz  pragmatisch „umgedacht“ und das Ganze abstandsregelgerecht in die CGM-Arena verlegt haben, war eine so gute und zum Stück passende Ersatzlösung, dass sie jetzt, bei der über zwei Jahren verspäteten Premiere, wie eine pfiffige Inszenierungsidee wirkt. Die großen Massenaufmärsche oder die berühmte Große Halle des Volkes in Peking – gespiegelt in einer Sportarena mit Tribünen rings um die Spielfläche – das passt. Da haben auch die unzähligen, wortwörtlichen chinesischen Pappkameraden und die von Aki Schmitt und Karsten Huschke einstudierten und auf 65 Köpfe aufgerüsteten Chormassen auf den Plätzen gegenüber der einen Zuschauertribüne an der Längsseite der Halle Platz genug. Auf dem Hallenparkett sind links die US-Flagge und rechts das Rote Banner der Chinesen aufgezogen. Dazu ein paar Podeste für Gesprächspartner, für Offizielles kommt die Rednertribühne unterm Mao-Porträt gegenüber den Zuschauern dazu. Projektionswände für Videoeinspieler, die aus dem (Straßen-)Leben und aus Originalen propagandistischer Selbstdarstellung der beiden Seiten stammen oder zum Teil (dezent) mit Livekameras produziert werden, komplettieren die Ausstattung. Das Ambiente kommt der chinesischen Vorliebe für die große politische Show ebenso entgegen, wie der von Richard Nixon für die publizistische Wirkung seines historischen Besuches in China in der Welt und vor allem bei seinen Wählern daheim.

Für  den emotionalen Sog von Adams’ minimalistischer Musik, die immer wieder effektvoll ins einprägsam Melodische eskaliert, sorgen Marcus Merkel und das hiesige Staatsorchester Rheinische Philharmonie. Man kann sich gut vorstellen, dass die Akustik in einer solchen Spielstätte eine besondere Herausforderung ist, doch zur Premierenvorstellung stimmte die Balance und die Stimmen der exzellenten Protagonisten blieben durchweg auf dem wogenden Orchester-Klangteppich.

Das Figurentableau

In dieser Oper lässt sich die annähernde Ähnlichkeit der Protagonisten mit ihren historischen Vorbildern nicht umgehen. Aber dank Richard Nixons Gestenrepertoire, Gattin Pats Frisur und rotem Mantel, dem entrückten Chancieren des großen Vorsitzenden zwischen Senilität und seiner philosophischen Attitüde, sowie des Fanatismus von Chiang Ch’ing, die aus ihrer Zeit als Maos-Witwe und Kopf der Viererbande im kollektiven Gedächtnis ist, lässt sich das relativ einfach machen. Andrew Finden ist der markante auf Wirkung bedachte Nixon, der vom Habitus her genauso gut Ex-Kanzler Schröder spielen könnte. Danielle Rohr beglaubigt ihre Rolle als Sympathieträgerin Pat auch mit ihrer vokalen Eloquenz voll und ganz. Tobias Haaks hat bei seiner Studie des deutlich gealterten Vorsitzenden Mao seiner stimmlichen Präsenz diverse Stolperszenen des aktuellen Amtsnachfolgers von Nixon hinzugefügt. Hana Lee untermauert den Fanatismus von Maos Ehefrau mit durchschlagender vokaler Attacke. Nico Wouterse als Nixon Sicherheitsberater Henry Kissinger und Christoph Plessers als Premier Chou En-lai haben mehr gestalterische Freiheit, bewegen sich aber im Rahmen von wenn auch verschiedenartigen Intellektuellen in diesem Personaltableau.

Neue Aktualität

Die Inszenierung des mit zwei Pausen unterbrochenen Dreiakters (und ganz bewusst auch das Programmheft) sucht die Nähe zum Zeitgeist der siebziger Jahre, als Nixon mit seinem Besuch, nach jahrzehntelanger So-gut-wie-Nicht-Beziehung mit dem potenziellen Konkurrenten im Osten, die sich verändernden Realitäten nicht nur zur Kenntnis nahm, sondern auch aktiv beeinflussen wollte. Vielleicht ist „Nixon in China“ derzeit so in Mode, weil dem Plot von Adams’ Oper, die 1987 in Houston das erste Mal über die Bühne ging und von dort aus ihre Karriere begann, gerade angesichts aktueller „Zeitenwenden“ auch etwas  Prophetisches innewohnt. Mehr als damals sind die USA und China letztlich Hauptakteure einer strategisch orientieren Weltpolitik. Die einen sind es immer noch, die anderen werden es immer mehr. Die daraus resultierenden Reibungen und Interessenkollisionen gehören heute direkt oder indirekt zu jeder Agenda weltpolitisch relevanten Handels.

Die Inszenierung von Markus Dietze bleibt dicht an der Vorlage. Sie protokolliert szenisch die Gespräche zwischen den Politikern und den Empfang in der Großen Halle des Volkes im ersten Akt, erweitert das Damenprogramm, das Pat absolviert durch diverse Videos und macht durch den Einsatz der von Annett Göhre choreografierten hauseigenen Ballett-Truppe aus der Theateraufführung im zweiten Akt eine Theater-im-Theater-Einlage der besonderen (roten) Art. Im dritten Akt schließlich, in dem alle Beteiligten auf die Tage in Peking und das eigene Leben zurückblicken, wird das Reflektierende durch die Dopplung der beiden ersten Paare durch handgeführte Halbkörperpuppen zusätzlich verfremdet. Dass diese Puppen dann in einem Lichtkegel abgelegt werden, könnte man auch als Aufforderungen an das Publikum verstehen, über die Eigenständigkeit ihrer realen Alter Egos nachzudenken. Oder einfach als den Schlusspunkt einer Inszenierung anzusehen, die auf eine in stimmige Wiedergabe der Vorlage aus ist. Gedankliche Umwege in die Gegenwart oder gar Zukunft überlässt man in Koblenz dem Publikum.

Hier Informationen zur Inszenierung samt Trailer.

Im Juliheft der DEUTSCHEN BÜHNE wird ein Vergleich dieser Inszenierung mit denen aus Paris und Dortmund folgen.