Schauspieler im Fußballtrikot vor Rückwand mit seiner projizierten Augenpartie

Der Torwart als Träumer

Amir Reza Koohestani, Mahin Sadri: FC Prinz Homburg: Träume und Handgemenge

Theater:Hessisches Staatstheater Wiesbaden, Premiere:17.04.2025 (UA)Vorlage:Prinz Friedrich von HomburgAutor(in) der Vorlage:Heinrich von KleistRegie:Amir Reza Koohestani

Nach Kafkas „Prozess“, „Dantons Tod reloaded“ nach Büchner, oder „Professor Bernhardi“ nach Schnitzler, widmet sich Amir Reza Koohestani mit „FC Prinz Homburg“ am Staatstheater Wiesbaden sehr frei nach Kleist einer weiteren Überschreibung. Dabei überträgt er den Konflikt zwischen der Freiheit des Individuums und einer höheren Ordnung in die Fußballwelt.

Mit einem Anpfiff beginnt „FC Prinz Homburg“ von Koohestani und Koautorin Mahin Sadri. In zwei Halbzeiten angelegt, spielt ihre Version des Prinzen statt auf dem Schlachtfeld vor allem auf dem Fußballfeld. Fred, der Torwart, angelehnt an Kleists Protagonisten, verpasst den Abmarsch der Truppe nach der Schlacht bei Fehrbellin 1675, ach nein, die Abfahrt der Mannschaft im Teambus nach dem Spiel gegen die Schweden. Er sitzt noch auf dem Feld, während Natalie, die Teamärztin, und Greta, Mannschaftsorganisatorin, darüber spekulieren, ob er eine physische Verletzung hat, oder doch eher unter einer Depression leidet.

Koohestani wählt das Fußballsetting als Rahmen einer kollektiven Erzählung über das Konfliktpotenzial im Leistungssport. Bei Kleists Prinzen entspinnt sich der Konflikt zwischen Individuum und Staat. Hier ist der Sport ein Raum für Spannungen, für ein Hierarchiesystem. Trainer Willie (Christian Klischat), angelehnt an den strikten Kurfürsten, trifft vor der Berücksichtigung individueller Menschlichkeit harte Entscheidungen für den über allem stehenden Verein. Fred wird für seinen Ungehorsam bestraft, denn, anstatt sich als Teil der Mannschaft aktiv ins strategische Spiel einzugliedern, ist er auf der Torlinie erstarrt. Die Augen geschlossen träumte er, jemand stünde neben ihm im Tor. Nur in allerletzter Sekunde hält er einen Elfmeter und sichert den Sieg des Teams.

Konfliktpotential im Leistungssport

Mit Stadiumkommentare werden die Figuren auf der Bühne aus dem Zuschauerraum beschallt. Kann Fußball mehr als die Tabelle sein? Wo und wie ist der Sport mit einer persönlichen Ebene vereinbar? Koohestani und Sadris Text baut diese Welt sehr frei nach Kleists Vorlage auf und schafft einen Spagat zwischen heutiger und Kleist-Sprache durch direkte Zitate, angelehntem Sprech-Duktus, aber auch überwiegend neu Geschriebenem. Während Teamkollege Eric eine Morddrohung der Schweden-Ultras erhält, wird Fred für die nächsten Spiele gesperrt, denn, „wer Befehle bricht, verdient sein Trikot nicht“. Das meint Trainer Willie, obwohl die „FC Prinz Homburg“-Ultras Fred mit der Teamflagge – anstelle des Kleistschen Lorbeerkranzes – als Helden für den gehaltenen Elfmeter feiern. Nach außen hin wird die Sperrung aufgrund einer Viruserkrankung erklärt. Interne Querelen gebe es nicht.

aus FC Prinz Homburg: Träume und Handgemenge

Klara Wördemann. Foto: Max Borchardt

Lasse Boje Haye Weber spielt Fred als Homburg-Figur, die Kleists Denken gegen die Vernunft spiegelt. Eher in sich gekehrt, ist er dabei oft passiver Teil am Rande hitziger Diskussionen über ihn. Er ist ein Wandler und Träumer in seiner eigenen Welt, hängt an Natalie, an seinen individuell gefertigten Torwarthandschuhen und dem Spiel. Die Vereinspolitik interessiert ihn nicht.

In der Schwebe

Natalies Figur (Tabea Buser) derweil, bei Kleist die in den Prinzen verliebte Prinzessin von Oranien, muss im männlich dominierten Fußballkosmos mehrfach ihre Position als Ärztin klarmachen, bei der Professionalität vor Persönlichem steht. Ob da etwas ist zwischen Fred und ihr, wird nicht aufgelöst. Sie steht als solidarische Unterstützerin für eine menschliche Entscheidung ihm gegenüber ein, der ohne das Spiel seiner Identität beraubt ist.

Zwischen Kabinenspind, Konferenztisch und Flutscheinwerfer rückt Koohestanis Inszenierung diesen Kleistschen Vernunft-Konflikt ins Zentrum. Vor allem beim inneren Kampf des Prinzen, der durch seine Passivität aber eher als Spielball zwischen Interessenskonflikten erscheint und zum Publikum distanziert bleibt. Andererseits baut der Autor und Regisseur gelungen eine Brücke ins Fußballuniversum und schneidet viele Themen daraus an: patriarchale Dominanz, physischen und psychischen Druck. Wohin das alles führen soll, bleibt dabei jedoch in der Schwebe. Am Ende muss Fred entscheiden, ob er – wieder auf dem Feld – die Augen öffnet und sich dem Match stellt. Schließlich ist das alles nur ein Spiel, oder?