Foto: Bryan Boyce (Mitte) sowie Mitglieder des Musiktheaterensembles und Opernchores des Mainfranken Theaters © Nik Schölzel
Text:Michaela Schneider, am 2. Oktober 2016
Der Erzähler will eigentlich nur eines: Auf seiner Theaterbühne eine Fabel über zwei Liebende, Valentine und Raoul, erzählen. Eine Fabel, die an Romeo und Julia erinnert, denn die Liebenden entstammen zwei verfeindeten Lagern. Doch die radikalisieren sich, Liebe, Fabel und Erzähler werden überrollt vom religiösen Fanatismus. Als das weiße Kostüm des kleinen Kerls längst blutbeschmiert ist, er schon am Boden liegt, greift der Mob noch zum Messer, schlitzt ihn auf und holt sich sein Blut als Kriegsbemalung für das finale Massaker. Mit einer eigenen, sehr eindrücklichen Interpretation nähert sich Regisseur Tomo Sugao Meyerbeers Opernspektakel „Die Hugenotten“. Am Sonntag feierte die Inszenierung Premiere am Mainfranken Theater im unterfränkischen Würzburg.
Mit dem gebürtigen Berliner Giacomo Meyerbeer (1791 – 1864), der in Paris zum König der internationalen Opernszene aufstieg und Opernsäle in aller Welt füllte, ist es so eine Sache: Im 19. Jahrhundert galt er als erfolgreichster Opernkomponist, heute ist er einer der Vergessensten. Das mag daran liegen, dass der Aufwand, Grande Opéra zu inszenieren, späteren Theatermachern schlicht zu groß war. Doch seit einiger Zeit erfährt Meyerbeer seine Wiederentdeckung. Allein in dieser Spielzeit ist die musikgeschichtlich wohl bedeutendste Grand Opéra „Die Hugenotten“ mit Kiel, Würzburg und ab November Berlin an drei deutschen Theatern zu sehen.
Während sich die Kieler dem Historienstoff recht klassisch nähern, ist der junge japanische Regisseur Tomo Sugao interpretationsfreudiger. Das ist umso spannender, als er eben nicht mit den Augen des Europäers auf die scharfen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten im Frankreich des 16. Jahrhunderts blickt, die in der Bartholomäusnacht am 24. August 1572 ihren grausamen, blutigen Höhepunkt erfuhren. Dass Sugao die Ereignisse nicht einfach nacherzählen will, zeigt sich in Julia Katharina Berndts Bühnenbild, zeigt sich an Pascal Seibickes fantasiereichen Kostümen. Denn damit erschafft er zunächst einmal eine Hommage an das pralle Pariser Opernleben des 19. Jahrhunderts. Auf der Bühne stehen Bühnen, ein Erzähler (Barbara Schöller) lenkt die Figuren durch die Handlung. Männer tragen knappen Fummel, schwere Ketten und Strapse, die Königin ist in dunklen Samt und eine überlange Schleppe gekleidet mit hochaufgetürmter Perücke, der Page erinnert an einen Pierrot.
Dann, als deutlich wird, dass kein Platz für große Liebesgeschichten, für Theater und Fabeln ist zwischen dem blindem Fanatismus der Realität, als der Erzähler vom blutdürstenden Mob ermordet ist, weichen pompöse Theaterkostüme schlichter Straßenkleidung. Perücken verschwinden, Schminke verläuft und verwandelt Gesichter in Fratzen. Das Publikum ist mittendrin im Mob, der Chor singt aus dem Zuschauerraum. Das finale Massenmorden sieht das Publikum nicht. Die Bühnen auf der Bühne sind verschwunden, man blickt auf einen leeren, schwarzen Raum. Nur die Orchesterklänge werden mehrfach unterbrochen von Schüssen. Ein umso beklemmenderes Szenario, als dadurch im Zuschauerkopf nicht länger die Protagonisten eines Theaterstücks sterben. Zu präsent sind die Bilder in Zeiten, in denen man täglich erfährt, wie Fundamentalismus Massen erfassen und wie zerbrechlich Frieden sein kann.
Bei aller Regiefreude lebt Oper aber natürlich trotzdem vor allem von einem: der Musik. Im Orchestergraben lenkt Generalmusikdirektor Enrico Calesso sein Philharmonisches Orchester Würzburg durch die anspruchsvolle Partitur. Aus der Ouvertüre tönt anfangs leichte Unsicherheit. Das legt sich, die Musiker gewinnen rasch an Sicherheit, Calesso und sein Orchester nehmen das Publikum mit auf eine rauschhafte Reise lyrischer Arien und monumentaler Klänge. Ganze Arbeit geleistet hat auch Chorleiter Anton Tremmel. Dem Opernchor und dem Extrachor des Mainfranken Theaters gelingt es, das Rauschhafte, Aufwühlende, erschreckend Mitreißende der Ereignisse zu transportieren.
Blick auf die Solisten: Hier hat Würzburgs neuer – und übrigens seit langem erster – Operndirektor Berthold Warnecke Kosten nicht gescheut. Mit der französischen Sopranistin Claudia Sorokina als Königin Marguerite de Valois und dem lyrischen Tenor Uwe Stickert als Raoul de Nangis hat er gleich zwei herausragende Meyerbeer-Interpreten als Gastsänger nach Würzburg geholt: Die Beiden – in ihren Rollen erfahren – liefern grandiose Gesangsleistungen ab, alles andere hätte überrascht. Claudia Sorokina überrascht eher, weil sie die Rolle der Königin herrlich komisch im Stile eines amerikanischen Hollywoodstars zu interpretieren weiß – und selbst zwischen Koloraturen Handküsschen wirft.
Vor allem überrascht aber, dass Sopranistin Karen Leiber, seit der Spielzeit 2010/11 Mitglied im Musiktheaterensemble am Mainfranken Theater Würzburg, als Valentine mithalten kann mit den eingefleischten Meyerbeer-Interpreten. Wie anspruchsvoll die Partien tatsächlich sind, lässt sie nicht durchklingen. Sie rührt mit Zartheit und in feiner Zerbrechlichkeit ebenso an wie mit tiefgehender Dramatik. Bis ins Mark dringt die Stimme des polnischen Basses Tomasz Raff als Raouls Diener Marcel. Bravo-Rufe zollt das Würzburger Publikum am Ende des Abends auch den Ensemblemitgliedern Silke Evers als Page der Königin und Daniel Fiolka als Graf von Nevers. Stehende Ovationen folgen, als Generalmusikdirektor Enrico Calesso die Bühne betritt.