Foto: Dshamilja Kaiser und Peter Schöne als Ehepaar Macbeth © Martin Kaufhold
Text:Konstanze Führlbeck, am 19. April 2021
Zahlreiche Künstler ließen sich bereits von William Shakespeares zeitlosem Drama über Macht und Schuld um den schottischen König Macbeth inspirieren, so auch der lothringische Komponist Pascal Dusapin. Doch zusammen mit seinem Librettisten Frédéric Boyer wählte er einen neuen Zugang zu dem Werk: Macbeth ist bereits tot, er und seine Frau durchleben ihre Handlungen aus der Unterwelt wieder und wieder aufs Neue, wie es Algirdas Drevinkas als Porter (man spielt in englischer Sprache) bereits im Prolog ankündigt. Die natürliche Ordnung ist verkehrt, Raum und Zeit sind aufgehoben, auch Gedanken an den Fluch des Sisyphos drängen sich unwillkürlich auf.
Paul Zollers Bühne mit dem runden Ausgang hinten lässt unwillkürlich an ein versunkenes U-Boot denken, das fahle grau-blaue Licht beschwört eine Unterwasserszenerie. In dem wüsten Durcheinander befindet sich links ein großes zerwühltes Bett, rechts steht ein altertümlicher goldener Käfig mit einem Kind im Renaissancekostüm, das sich später als der namentlich nicht genannte Macduff entpuppen wird. Hier spielen sich die aus Shakespeares Drama bekannten Ereignisse ab: Die Verkündigung der drei Hexenschwestern (Maria Carla Pino Curly, Valda Wilson, Carmen Seibel) an Macbeth (Peter Schöne) und den hier als namenlosen „Ghost“ apostrophierten Feldherrn Banquo (Hiroshi Matsui), der Plan zur Ermordung König Duncans, das Krönungsfest von Macbeth, die Liebe zwischen ihm und seiner Lady (Dshamilja Kaiser), ihre Wahnsinnsszene, der letzte Kampf von Macbeth.
Doch Dusapin und Boyer erzählen das Drama nicht einfach nach. Sie untergliedern ihr Werk in acht Kapitel, die die entscheidenden Etappen verdichten. Und sie zeigen keine lineare Handlung, sondern vermischen Zeit- und Spielebenen mit Mitteln des epischen Theaters und des Chors der antiken griechischen Tragödie.
In diesem klaustrophobischen Universum bewegt Lorenzo Fioroni die Charaktere nicht ohne für Shakespeare-Kenner ungewohnte Verfremdungen. So sind die „Weird Sisters“ keine alten Hexen, sondern im Gegenteil junge, attraktive Balletteusen in weißen, feenhaften Kostümen – Zauberwesen aus einer anderen Welt. Macduff tritt ausschließlich in Gestalt des von einer Sopranistin (Marie Smolka) verkörperen Kindes auf, zudem als einziger Darsteller im Renaissancekostüm. Die Bühne dominieren Peter Schöne und Dshamilja Kaiser. Die junge Mezzosopranistin mit sonor aufblühender Stimme fesselt sowohl durch innige als auch durch laszive Töne und packenden Sprechgesang, auch darstellerisch wird sie der Rolle vollauf gerecht.
Dusapins Oper stellt die Liebe der Lady zu Macbeth heraus, dämonische Aspekte sind ihr hier fremd. Die Sinnlichkeit dieser Lay ist allerdings ist ebenso groß wie ihr Machtstreben, an dem sie letztlich zerbrechen wird. Das kann auch Macbeth nicht verhindern, der zwischendurch sogar in ihre Gestalt respektive ihre rosafarbene Glitzerrobe schlüpft. Peter Schöne verkörpert die Gestalt des Titelhelden kraftvoll und fragil zugleich, hin- und hergerissen zwischen Machtstreben und Selbstzweifel, eine Inkarnation von Widersprüchen. Seine Wandelbarkeit, sowohl stimmlich als auch darstellerisch, beschert den Zuschauern einige Höhepunkte des Abends.
Auch die Musik Pascal Dusapins vollzieht sich nicht in einer linearen Entwicklung. Klangflächen und -räume werden gegeneinander gesetzt, in einer an modalen Skalen orientierten freien Tonalität. Darüber legen sich die Stimmen der Darsteller, aber auch Streicherthemen, Bläsereinsätze verankern das Klangbild. Zu den Höhepunkten der von Justus Thorau und dem Saarländischen Staatsorchester facettenreich gespielten Partitur, in der Dusapin das Orchester sehr kantabel führt, gehören das unirdisch zarte Requiem „Nox perpetua“ und wiederkehrende geheimnisvolle Orgelklänge.
Es ist eine großartige Sache, diese Klangarchitektur und diese Bildwelt tatsächlich live im Theater erleben zu können, im Rahmen des saarländischen Öffnungsmodells!