Dazu wird in dieser ersten Premiere unter dem neuen Intendanten Hein Mulders auf einem Niveau gesungen wie selten in diesem Haus in den letzten Jahren. Isabelle Druet als Kassandra und Veronica Simeoni bringen kostbare Mezzosopran-Stimmen ein und sind dazu beide herausragende und sehr textverständliche Interpretinnen. Wobei Druet vor allem in der Textausdeutung brilliert und dabei unendlich viele Nuancen zwischen Sprech- und Legatogesang zeigt, während Simeoni vor allem in letzterem zuhause ist, mit leichtem Stimmsitz, feiner Phrasierung und, wo nötig, großer Expressivität. Dazu kommt mit Enea Scala ein recht junger Aeneas, der anfänglich noch ein wenig zu scheuen scheint vor der gewaltigen Aufgabe, sich aber zum Ende hin immer mehr steigert und mit seiner großen Arie mitreißt. Hervorzuheben unter den größtenteils sehr erfreulichen Darstellung der kleineren Rollen ist die Eleganz in Gesang und Spiel von Nicolas Cavallier als Didos Berater Narbal. Chor und Orchester sind ohnehin in großer Form.
Hector Berlioz erzählt in „Les Troyens“, absolut unüblich für die Mitte des 19. Jahrhunderts, keine kontinuierliche Geschichte. Ihm geht es um Gestaltung von Leidenschaft bei zwei Frauenfiguren an zwei Schauplätzen. Kassandra sagt die Einnahme Trojas voraus (durch die bekannte List mit dem trojanischen Pferd). Niemand glaubt ihr, selbst ihr Geliebter nicht. Als die Stadt eingenommen wird, fliehen einige Männe, darunter Aeneas, und Kassandra organisiert einen Massenselbstmord der Frauen. Die Witwe Dido hat auf der Flucht in einem Herrschaftsstreit Karthago gegründet, eine idyllische Stadt, die nur sich selbst lebt und sich nach außen abschottet. Sie verliebt sich in den geflüchteten Aeneas, er verlässt sie, sie bringt sich aus verschmähter Linie um. Mehr Handlung bieten diese vier Stunden nicht an, dafür aber eine schwer in den Griff zu bekommende, recht statische Tableaux-Dramaturgie.
Klug gelesen, brav inszeniert
Anders als Christoph Honoré im Mai in München ist sich der Regisseur Johannes Erath dieser Eigenheiten offenkundig bewusst. Er nutzt den Steg, um Embleme und Bildideen zu präsentieren und so die Tableaux zu rahmen, denkt Stück und Handlung, etwa in der merkwürdigen Verschränkung von Begehren und Patriotismus, nicht in die Gegenwart weiter. Gelegentlich gelingen packende Momente, etwa Kassandras Begegnung mit einem Tänzer mit Pferdekopf, bei der die doppelte Bedrohung – der Verlust der Heimat und der Jungfräulichkeit – sinnfällig Spiel wird. Oft aber regiert Beliebigkeit, auch in den Kostümen von Heike Scheele (schwarz für Troja, weiß für Karthago). Die Chorauf- und Abtritte auf dem schmalen Steg geraten langatmig. Symbole wirken wie Gleichnisse ohne Deutung. Eine wie aus einer Travestie-Show hinzuerfundene Götterschar bleibt Dekoration und nutzt sich im Lauf der vier Stunden stark ab. Sie wird an den Rändern mit der Konstellation und Handlung verzahnt – Apollo singt Hylas‘ Lied, Pluto „übernimmt“ zwei kleinere Rollen –, dazu wird viel mit Jupiters Blitz herumgespielt, was im besten Fall nett anzusehen ist. So stellt sich Johannes Eraths szenisches Arrangement keinen Moment vor die Musik. Im Gegenteil, der Regisseur überlässt der Musik den ganzen Raum und setzt ihr wenig entgegen. Der Jubel ist groß, aber nicht einhellig.