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Klangpracht und Regietristesse

Richard Wagner: Parsifal

Theater:Festspielhaus Baden-Baden, Premiere:24.03.2018Autor(in) der Vorlage:Wolfram von EschenbachRegie:Dieter DornMusikalische Leitung:Simon Rattle

Es ist das alte Lied. Wenn die Berliner Philharmoniker als Opernorchester antreten, werden der Klangfarbenluxusdes Orchesters und der Maestro am Pult, Sir Simon Rattle, gerühmt und vom Publikum gefeiert. Gute Leistungen der Vokalsolisten werden mit begeistertem Applaus bedacht. Das Regieteam dagegen erntet auch bei der diesjährigen Osterfestspiel-Premiere in Baden-Baden mit Richard Wagners „Parsifal“ wütende Buhs. Dabei ist die Aufführung im Festspielhaus der Bäderstadt alles andere als überdrehtes Regietheater. Vielmehr hat Altmeister Dieter Dorn, der mit seinen Regierarbeiten das Sprechtheater-Leben in München prägte und auch mit Wagner-Opern Erfahrung sammelte, eine über weite Strecken historisierend rückwärtsgewandte Inszenierung vorgelegt, die die christliche Oster-Symbolik überhöht, aber keinen überwölbenden Spannungsbogen findet.

Dorn präsentiert die in Weiß strahlende Kundry, von verlumpten Gestalten beobachtet, bereits im Vorspiel, auf einer halbkreisrunden Vorderbühne ausgestreckt am Boden liegend. Dann zieht das Hexen-Weib gestikulierend den Hauptbühnen-Vorhang vom Theaterportal herab und verschwindet mit ihm in den Katakomben. Und man fragt sich: Was soll’s? Nun sind auf der Breitwandbühne bewegliche, angeschrägte hölzerne Rampen sowie schräg aufgestellte hohe Wandelemente zu sehen, auf welchen gebirgige Landschaften skizziert scheinen. Zwischen diese Stellagen wird der sieche Gralskönig Amfortas zum Bade getragen und von den Helfern mit Tüchern wie hinter einem Paravent abgeschirmt, wo er Kundrys arabischen Heilbalsam für seine Wunde entgegennimmt. Doch plötzlich purzeln über eine der Holzschrägen zwei (!) als Schwäne kostümierte Mädchen in die Szenerie. Pasifal, der sie offensichtlich erlegt hat, erscheint tölpelhaft polternd wie ein Steinzeit-Jäger in Felle gehüllt, mit Köcher, Pfeilen und Bogen.

Zur Verwandlungsmusik wird dann ein neues Bild, die Burg, hergerichtet: eine zeitüberbrückende, ziellose Kulissenschieberei setzt ein, an deren Ende sich aus den rückwärtigen Stützgestellen der Wandelemente im Halbrund ein römisches Theater mit zwei Rängen ausformt, auf denen als Christus-Jünger gewandete Gralsritter die mühsam von Titurel und Amfortas in Gang gesetzte Enthüllung des Grals verfolgen. Die Szene entfaltet sich als biblische Eucharistie. Gefüllte Weinkrüge und Brotkörbe werden zum Abendmahl aufgetragen, zudem ein hölzerner Reliquien-Schrein, dem der Gral, eine kleine Pokalschale aus Glas, schließlich entnommen wird.

Dorn und seine Ausstatterinnen (Bühne: Magdalena Gut, Kostüme: Monika Staykova) meiden den Pomp, aber leider nicht die Klischees. Im 2. Aufzug umrahmen doppelreihige Zinnen, die den Betonklötzen des Berliner Holocaust-Mahnmals gleichen, den quadratischen Innenhof von Klingsors Zauberschloss. In rosigen Hemdchen und Babydolls, mit Blütenkelchen fleischfressender Pflanzen ausstaffiert, inszenieren Klingsors Blumenmädchen ihren Verführungsreigen. Hier kontrastiert das öde Betongrau des architektonischen Ambientes mit der knalligen Buntheit der Akteure. Kundry räkelt sich derweil als juwelenglitzernde, strohblonde Filmdiva auf gepolstertem Pfuhl. Doch  der inzwischen durch Mitleid wissende Parsifal widersteht dem erotischen Sehnen und fängt kinderleicht den heiligen Speer, den Klingsor vom Turm auf ihn schleudert.

Im 3. Aufzug schleppt sich Parsifal in voller Rittermontur mit heruntergelassenem Visier und Wappenschild als müder Recke auf die Bühne. Über die gesamte Länge der Handlung steht am rechten Bühnenrand eine neuzeitliche Zinkwanne, in die ein vom oberen Portal herabhängendes Seil einmündet. Endlich wird klar, wozu das Requisit dienen soll: Hier entspringt die heilige Quelle, mit deren Wasser Gurnemanz und Kundry ihren Helden Parsifal rituell waschen und zum neuen Gralskönig salben. Die erblühenden Auen des Karfreitag-Wunders erschöpfen sich minimalistisch in schnipseligen weißen Papierblüten, die wie Schmetterlinge vom Bühnenhimmel herab flattern und sich auf dem schmutzig dunklen Bühnenboden bald verlieren. Am Ende sitzt der von Amfortas und Kundry ersehnte Erlöser, den hell erstrahlenden Gral vor sich, auf einem erhöhten Thron, der einem einfach gefügten Jägerhochsitz im Walde gleicht.

Bereits das Vorspiel statten Rattle und seine Berliner Philharmoniker mit frischen Klangfarben aus, nehmen die Tempi vergleichsweise zügig und forsch. Es scheint, als wollten sie in die Wagner’schen Klangnebel hell strahlend hinein leuchten. Andere Passagen mäßigt und verfeinert Rattle. Die Blechbläser-Ballungen und den Glockenklang in den Grals-Szenen hat man schon dröhnend-massiger gehört. Immer wieder verschmelzen die Instrumente zu klangschöner Kulmination. Streicherglut und Bläserlegato verdichten sich zur kultischen Feier. Schmerzvolle Dramatik zeichnet die Amfortas-Auftritte aus, pastoral friedvoll strömt die Karfreitags-Stimmung. Die Vokalsolisten überzeugen durch plastisch ausgeformte Artikulation. Franz Josef Selig ist mit seinem prachtvollen Bass ein herausragender Gurnemanz, der in den erzählenden Passagen Wagners Deklamationsstil perfekt umsetzt und sowohl über Tiefe als auch Durchschlagskraft verfügt. Stephen Gould besitzt als Parsival tenoralen Schmelz und versteht es, seine Stimme in Handlungshöhepunkten zu fokussieren. Gerald Finley macht Amfortas’ Leid und Todessehnsucht nicht nur mit Worten, sondern durch intensive Färbung der Vokale hörbar. Temperamentvolle Klangrede ist das Markenzeichen von Evgeny Nikitins Klingsor, Robert Lloyd gibt den Titurel mit nasal leicht eingetrübtem Timbre. Ruxandra Donose ist in der Rolle der Kundry sowohl darstellerisch als auch stimmlich ein guter Ersatz für die ursprünglich angekündigte Evelyn Herlitzius. Ihr Sopran mit attraktiv schimmernder Mittellage kommt neben den dominierenden männlichen Stimmfarben kraftvoll zur Geltung.

Klingsors Zaubermädchen agieren ziemlich grellbunt und schrill. Der Philharmonia Chor Wien, der durchaus auch sinnlich weich singen kann, beeindruckt mit machtvollen Aufschwüngen. So ist mindestens die süchtig machende Klangpracht im Festspielhaus Manna für Wagnerianer.