Butterfly (Barno Ismatullaeva, vorn links), Choristinnen und Kirschblüten auf der Bregenzer Seebühne

Kirschblüten-Hanami über dem Bodensee

Giacomo Puccini: Madama Butterfly

Theater:Bregenzer Festspiele, Premiere:22.07.2022Regie:Andreas HomokiMusikalische Leitung:Enrique Mazzola

Ein überdimensional großes Blatt Papier, zunächst völlig weiß und unbeschrieben: Das ist die Kulisse, die der kanadische Bühnenbildner Michael Levine für Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“ auf die Bregenzer Seebühne gebracht hat. Was zunächst schlicht anmutet, entführt das Publikum in den folgenden zwei Stunden voll und ganz in die japanische Kultur.
 
Nach und nach werden im sich immer wieder verändernden Licht die schattenhaften Zeichnungen von Bergen, einem Ahorn und japanischen Schriftzeichen sichtbar. Sie bringen eine Landschaft auf das Blatt Papier, die der tragischen Geschichte Madame Butterflys eine Bühne gibt. Butterfly, die eigentlich Cio-Cio-San heißt, ist die Geisha, die sich so unglücklich in den amerikanischen Marine-Offizier B.F. Pinkerton verliebt. Von Beginn an ist klar, dass diese einseitige Liebe, in der Pinkerton vor allem die kurze Bestätigung und den Spaß sieht, kein glückliches Ende nehmen kann. Madame Butterfly wartet drei Jahre verzweifelt auf ihren Mann, der zurück nach Amerika gegangen ist und von dem sie mittlerweile einen Sohn geboren hat. Wer die Geschichte kennt, weiß, dass sie vergeblich warten wird. Nur, um das Kind gemeinsam mit seiner neuen, amerikanischen Frau abzuholen, kommt Pinkerton schließlich zurück. Butterfly – von ihrer Verzweiflung vollends ergriffen – nimmt sich das Leben.

Risse zwischen den Kulturen

Dass hier zwei vollkommen unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, wird in Andreas Homokis Inszenierung auf der Seebühne bereits in den ersten Minuten deutlich: Während die Geishas lautlos über die fragil anmutende Landschaft wandeln und auch zwischen ihren Falten wieder verschwinden können, ziehen Pinkerton und der amerikanische Konsul Sharpless bei ihrem Auftritt tiefe Risse in das Papier. Noch plakativer wird der Kontrast, als aus dem von Pinkerton verursachten Schnitt eine Fahnenstange mit der amerikanischen Flagge emporsteigt. Doch diese schafft es nicht, das Bild zu bestimmen – bis zum Schluss bleiben die Amerikaner Eindringlinge in der zarten Welt der Butterfly. Mit ihr gemeinsam erlebt der Zuschauer das komplette Wechselbad der Gefühle. Puccinis schmelzender Orchesterklang wird, stark geformt von Enrique Mazzola und den Wiener Symphonikern, vor allem in den Szenen der unglücklichen Hauptfigur präsent, in denen die Kulisse, die auf überflüssiges Beiwerk verzichtet, Butterflys Gefühlswelt wie unter einer Lupe vergrößert. Stärker als bei manch vorangegangener Inszenierung auf der Seebühne greifen Musik und Bühnenbild bei „Madame Butterfly“ dadurch ineinander.
 
Licht, Zeichnungen sowie Projektionen spielen dabei auf der weißen Fläche immer wieder eine besondere Rolle: So etwa, als Butterfly in der freudigen Überzeugung, dass ihr geliebter Pinkerton bald eintreffen wird, hunderte Blüten über die Fläche verteilt. Das Ganze mündet schließlich geradezu in einem Kirschblüten-Hanami, denn die echten Blüten werden durch projizierte, die über das Papier fließen, ergänzt. Auch der zornige Onkel Bonze, dessen Gesicht sich als Projektion wie aus dem Papier zu schälen scheint, als er die Nichte ob ihres Religionswechsels für Pinkerton verflucht, hinterlässt einen starken Eindruck.

Intimer Rahmen für eine tragische Welt

Wie vergänglich Liebe, Leben und eben auch Papier sein können, zeigt der Schluss. Mit Butterflys Selbstmord scheint die Bühne zunächst in einer Feuer-Projektion, dann mit echten Feuerfontänen in Flammen aufzugehen. 300 Tonnen Gesamtgewicht, 1340 Quadratmeter Fläche: Michael Levine ist es mit seinem Bühnenbild gelungen, dass diese sonst omnipräsenten und übergroßen Aspekte der Seebühne sowohl der Musik als auch der erzählten Geschichte nicht die Show stehlen. Seine Interpretation gibt der mal mystischen, mal verspielten, aber vor allem immer tragischen Welt der Madame Butterfly einen nahezu intimen Rahmen.