Foto: Szene aus "Die Regeln des Sommers" © Christian Kleiner
Text:Manfred Jahnke, am 12. Dezember 2017
FAUST-Preiträgerin Hannah Biedermann inszeniert in Mannheim „Die Regeln des Sommers“ nach Shaun Tans Bilderbuch.
Wie ist das, wenn man Regeln aufstellt und sie wieder vergisst? In „Die Regeln des Sommers“ spielen zwei Freunde allein in einer von der Hitze stöhnenden Stadt die Konsequenzen und Überraschungen vor, die so ein Regelbruch mit sich bringt. In seinem Bilderbuch entwickelt dabei der Australier Shaun Tan zu den einzelnen „Regeln“ mit starkem Strich und mit Lichtwirkungen spielend surrealistische Bilder, auf der sich merkwürdige (Alp-)Traumwesen zu den Jungen gesellen. Zu Sätzen wie „Nie eine rote Socke auf der Wäscheleine hängen lassen.“ über „Nie auf einer Party die letzte Olive essen.“ bis hin zu „Nie einem Fremden deine Schlüssel geben.“ oder „Nie das Passwort vergessen“ entwirft Tan assoziativ Situationen, die der Betrachter selbst auserzählen muss. Was für Theatermacher von Vorteil ist, als sie die einzelnen Stationen mit eigenen Geschichten ausgestalten können.
Hannah Biedermann, die gerade für „entweder und“ am JES Stuttgart mit dem Deutschen Theaterpreis DER FAUST in der Sparte Theater für ein junges Publikum ausgezeichnet wurde, nutzt am Jungen Nationaltheater Mannheim diese Möglichkeiten intensiv. Während das Bilderbuch sich assoziativ von Station zu Station fortbewegt, zusammengehalten nur dadurch, dass auf den Bildern die beiden Freunde zusammen, manchmal aber auch allein zu sehen sind, entwickelt Biedermann die durchgängige Geschichte zweier Jungen, die spielend durch den heißen Sommer zu kommen versuchen, sich streiten und sich wieder versöhnen. Phantasievoll suchen sie nach Abenteuer, verstricken sich in ihre Bilder, erleben für einen Augenblick ein leichtes Gruseln. Aber da sie im Spielen so souverän sind, gehen sie auch über ihre Emotionen hinweg: Die Entdeckungsfreude und die Neugierde auf Überraschungen dominiert das Spiel von Johannes Bauer und Sebastian Reich, die mit ihrer Vehemenz und Kraft das Publikum mitreißen.
Hannah Biedermann lässt noch eine dritte Figur agieren, die es bei Shaun Tan nicht gibt, die sich zunächst als eine Art Moderatorin oder auch Erzählerin einführt und später viele der surrealistischen Wesen vorführt, die die Phantasie der Jungen bewegen. Weil sie aber zugleich mit den Jungen interagiert, sich also als wirkliche Spielpartnerin der Beiden etabliert, scheinen die Spiele von ihr inszeniert, was die Tendenz verstärkt, dass Emotionen kaum Raum gelassen wird. Dafür herrscht die pure Spielsucht – und das ist ja auch nicht schlecht. Hanna Valentina Röhrich jedenfalls macht das so charmant wie gekonnt. Und sie marschieren auf, das rote Riesenkaninchen, das von Jeff Koons stammen könnte, Käfer, Ungeziefer, Krähen etc. in den wunderbar absurden Kostümen von Mascha Bischoff, die auch die Bühne geschaffen hat: eine aus Holzgerüsten gebaute Spiellandschaft voller Schrägen, die auf den Reihen von Gummistampfern stehen, mit denen sich intensiv spielen lässt. Nach hinten wird der Bühnenraum von einer halbrunden Wand abgeschlossen, auf die Motive des Bilderbuchs projiziert werden.
Hannah Biedermann nutzt diesen Raum fast artistisch. Sie lässt das Ensemble herumklettern, das mit kindlicher Neugierde diesen Raum erforscht, Lautsprecher oder in den Gummistampfern Mikrofone entdeckt und sie gleich ausprobiert. Dabei entstehen spannende Geräusch- und Musikcollagen (Musik: Matthias Meyer) sowie raffinierte Lichtstimmungen, die mit dem Hell-Dunkel des Bilderbuchs arbeiten. Ein kleines Gesamtkunstwerk für Kinder ab fünf, die staunend in diese phantasievolle Spielwelt eintauchen.