Foto: Keifhenne trifft Kampfhahn: Natascha Mamier als Joana und Hartmut Jonas als Valentin © Landestheater Detmold / Jochen Quast
Text:Jens Fischer, am 14. August 2020
Nur noch die gemeinsamen Kinder, finanzielle Sorgen, Gewohnheiten oder die Angst vorm Alleinsein halten Mann und Frau zusammen? Von der Liebe bleibt nach einem guten Dutzend Ehejahren nichts als eine Leerstelle? Eine Ruine, in der Macht- und Beziehungskämpfe zwischen den Geschlechtern toben? Das mag der eine oder der andere Beziehungsmensch im quarantänisierten Familienleben während der Corona-Lockdown-Monate durchaus so empfunden haben – dachten sich wohl die Dramaturgen des Landestheaters Detmold und servieren nun zur Saisoneröffnung ein Stück Lebenshilfe und Optimismusschulung. Im Programmheft wird verständnisvoll das abnehmende sexuelle Interesse langjähriger Partner thematisiert, auf der Bühne eine Kampfbeziehung auf dem Theater-Boulevard geführt und als Therapiesitzung inszeniert. Daniel Glattauers Stück „Die Wunderübung“ nährt prima naiv die Hoffnung, Liebe sei ein im Laufe der Jahre kontinuierlich verkümmernder Keimling, der nur der empathischen Hege und selbstbewussten Pflege bedarf, um Ehefrust in eine Romantik-Renaissance zu überführen.
Also, liebe Eheveteranen: Auf in den schmucklosen Innenhof des ehemals Hochfürstlichen Lippischen Hoftheaters! Wer vom Einlasspersonal desinfiziert wurde, darf eintreten. Grau und leicht hügelig gepflastert ist der Boden, kahl sind die Fassaden, aber aus dem Geist historisierender Ironie mit architektonischen Verzierungen und Theatermotiven bemalt. Riesengroß grimmt auch der hassgeliebte Detmolder Stadtheilige von einer Wand herab: der im Sturm und Drang verzweifelnde Christian Dietrich Grabbe. Die Besucher hocken auf Klappstühlen, schnabulieren Würstchen, nippen Weißwein. Überm Geschehen krähen Krähen, gurren Tauben, tröpfeln Wolken. Ariose Leckereien probender Opernsängerinnen dringen aus den Fenstern. Auf der Open-Air-Bühne ist wie zum Foto-Shooting ein Badeurlaubszenario mit Plastikpalmen, Strandsand, Hängematte und Meeres-Prospekt aufgebaut. Wellenrauschen schallt aus den Lautsprechern.
Woran sich zeigt: Der Paartherapeut (Marius Borghoff) hat sich mit Hilfe der Ausstatterin Nina Sievers ganz viel Mühe gegeben, dem Streithahn Valentin (Hartmut Jonas) und der Streithenne Joana (Natascha Mamier) zu ihrer ersten Sitzung ein angenehmes Setting zu bieten. Sich unsicher an Kokosnüssen festhaltend, treten die Psychokrieger auf und machen gleich die gegensätzliche Typisierung klar, in der sie fortan verharren werden. Valentin nimmt sich zurück in seiner eisigen Resignation, versucht höflich zu bleiben, will alles richtig machen; Joana kommt trutschig daher, geradezu Ekel ist ihrem Gesicht, Unruhe dem Körper eingeschrieben, als würde sie vor Empörung gleich platzen. Aber auch Energie vermittelt sie, gegen die verschüttete Zuneigung fürs Lebensglück kämpfen zu wollen. Die schlagfertigen Duellanten jedoch ergehen sich fortgesetzt in allen Todsünden der Kommunikation. Sie drehen sich gegenseitig das Wort im Munde herum, unterbrechen einander im polemischen Duktus, werten sich gegenseitig ab, türmen Vorwürfe und Abrechnungen auf: verbale Scharmützel einer verfahrenen Keifkultur. Das ist dank sarkastisch aufblitzenden Wortwitzes unterhaltsam. Aber nur in Maßen.
Dass angekokelte Tarnnetze die Bühne schmücken, also wohl darauf verweisen sollen, dass hier etwas enttarnt werden soll, bleibt ein leeres Versprechen. Denn das Stück bringt nicht Licht in eine Ibsen‘sche Ehehölle, will Beziehungsalltag und Gefühlwirrwarr nicht wirklich aufarbeiten, sondern nur Geschlechterrollenklischees ausbreiten. Valentin ist beruflich erfolgreich, mit 40 Jahren immer noch jungenhaft gut aussehend, hat stets seine Arbeit im Kopf, ist also von zu Hause entfremdet, bringt sich nicht ein, hatte zudem eine „unappetitliche Sexgeschichte mit Brieschitt“. Joana fühlt sich seit der Geburt der Kinder geradezu alleinerziehend für den Haushalt zuständig, ist überfordert und genervt. Sie hält ihn für verantwortungslos und ignorant, er sie für hysterisch. Alles sehr vorhersehbar.
Der Text ist inhaltlich wirklich dünne. Man könnte aber durchaus aktuelle Zweisamkeits- und Gender-Diskurse darüber legen oder weiterführend das Thema entwickeln, um künstlerisch einen Mehrwert zu erzielen. Nur passiert das in Detmold nicht. Es wäre schon viel gewonnen, wenn es gelänge, die Handlung von der Spaß-Sause mit Vollblutkomikern bis in die Farce zu treiben. Doch dagegen spricht die gewählte Besetzung. Regisseurin Kristin Trosits setzt zumeist nur auf leichtgewichtiges Witzeln über Witzfiguren. Sie tippt andere Möglichkeiten des Stoffes wie die Psychotherapie-Karikatur zwar an, treibt die Premiere auch kurz mal kurz in den Slapstick. Doch dass unter der Oberfläche Möglichkeiten lauern, Konventionen aufzusprengen, wird in dieser klamottigen Schlacht mit Requisiten nie spürbar. Zumeist schleppt sich die Aufführung in müdem Tempo mit einigen Corona-Anspielungen zum versöhnlichen Ausgang.
Dafür muss der im nervtötenden Predigertonfall agierende Psychologe noch eine Therapietaktik anwenden, die Glattauer, selbst zum Psychosozialen Berater ausgebildet, zur Peripetie seines Dramas und damit für die Wendung zum Feel-Good-Theater nutzt. Eigentlich nämlich überschreitet es jedwede Glaubwürdigkeit aufs Kitschigste, wenn plötzlich alles vergeben, einstige Vertrautheit und Solidarität wieder vorhanden, die Liebe neu erblüht sein soll. Genau das wird zum Finale aber ungebrochen behauptet. Als Eselsbrücke dorthin dient die von diesem Stück lautstark propagierte These, dass nicht das harmonisierende Miteinander, sondern das Aneinander-Reiben die Energie für gute Beziehungen liefert: „Lieber dreimal verglühen als einmal erfrieren.“ Da ist natürlich was dran. Aber es bleibt letztlich nur Behauptung in einer unausgegorenen, leise bekicherten Produktion.