Foto: Martin Wuttke als Borkmann in "John Gabriel Borkman" am Burgtheater © Reinhard Werner
Text:Hartmut Krug, am 28. Mai 2015
Die Szene ist von Anfang bis Ende ein völlig leerer Raum vor grauer, nackter Betonwand. Kein oberes Stockwerk, von dem bei Ibsen die Schritte des gescheiterten Bankdirektors John Borkman drohend herunterklingen zu seiner ebenso einsamen Frau Gunhild. Es gibt nur dieses Einheitsbild eines Eiskellers der erstarrten Gefühle, in dem ohne Unterlass der Schnee herab rieselt. Der Boden ist so mit Schnee bedeckt, dass die Menschen, die hier zu Hause sind, jeder für sich und allein, bei ihren Auftritten unterm Schnee hervorkrabbeln müssen. Ihre wenigen Requisiten buddeln sie aus: Seien es Gunhilds Schnapsflaschen oder ihr Aschenbecher und ihr Telefon, sei es Johns Fernseher, der, weil kaputt, ihm keine Informationen aus der Welt dort draußen zu liefern vermag, oder auch das Musikinstrument der jungen Borkman-Schülerin Frida (Liliane Amuat mit E-Gitarre statt des Klaviers bei Ibsen).
Katrin Brack hat wieder eines ihrer eindimensionalen, überdeutlichen und poetisierenden Bühnenbilder geliefert. Die Härte, die Ibsen seinen Figuren zuweist, vertreibt sie allerdings mit der stimmungsvollen Schönheit ihrer Bühne. Nun scheint auch Regisseur Simon Stone Ibsens Stück und die Probleme seiner Figuren ein wenig wie Schnee von gestern anzusehen. Er hat in Ibsens Handlungsskelett (s)einen neuen Text eingefügt und nennt das Ergebnis „nach Henrik Ibsen von Simon Stone“. Dabei versucht er zu zeigen, dass eine soziale Situation der Isolierung heute einhergehen kann mit der Kenntnis aller Entwicklungen draußen in der Gesellschaft. Doch das macht er recht ungeschickt. Nachdem etwa Ella, Schwester der Hausherrin Gunhild gekommen ist und beide Frauen um Erhart, Gunhilds von Ella erzogenem Sohn streiten, verliert sich der neue Text zu Beginn so endlos wie funktionslos, so wohlfeil wie witzelnd zwischen Anmerkungen zu Facebook, Skype, Drohnen und Mails. Man redet über die DN von Mammuts und Rezepte auf Facebook und schwebt dabei recht ungeschickt mit seinen Aktualisierungen neben der alten Geschichte daher.
Dabei lohnte es, deren noch immer aktuellen Kern heraus zu schälen. Doch Regisseur Stone setzt nur deutlich und heftig auf Effekte und entwickelt dabei Ibsens existentielles Suchdrama mit seinen wirkungssicheren und zugleich unterforderten Schauspielern zu einer braven Groteske. Die endlosen Erklärungs- und Aufdeckungsgespräche zwischen dem wegen Veruntreuung verurteilten Borkman und seinen beiden Frauen, sie werden gekürzt oder aufgeblasen, immer aber ironisiert. Stone schenkt Borkman und den beiden Frauen eine einst funktionierende Dreierbeziehung, auch wenn sich Ella beschwert, Borkmann habe mit Gunhild mehr Sex gehabt.
Immer wieder treibt der Regisseur Ibsen den Ernst aus. So glaubt man Martin Wuttke als Borkmann den Exbanker keinen Moment. Bei Stone fehlen Borkman die von Ibsen hervorgehobenen individuellen Großmachtphantasien, die man auch heute in wirtschaftlichen Führungspositionen vorfindet. Nur einmal steigt Wuttke für eine muntere Napoleon-Nummer auf den Fernseher, öffnet seinen schwarzen Mantel und wirft die langen zotteligen Haare umher, während er allerlei mimisch-gestisch Unterhaltendes zum Besten gibt. Insgesamt wirkt sein charmanter Borkman wie ein abgehalfteter Idealist. Während Birgit Michichmayrs Gunhild im flatterigen Morgenkleid mit der kieksig-krächzenden Stimme einer Säuferin als lautstarke Egoistin umhertobt. Jeder Auftritt eine Wirkungsnummer: Urkomisch, wie sie ihren Sohn Erhart anruft, um ihn mit einem fingierten Unfall herbei zu locken. In Max Rotbarts Darstellung des Erhart ist schließlich alles Ibsensche Pathos endgültig aufgebrochen: Wir schmunzeln nur noch über die normalen Backpacker-Illusionen eines jungen Mannes, wenn er mit Frau Wilton (Nicola Kirsch) auf Reisen gehen will. Dagegen wird Ella von Caroline Peters ohne Klischeeanwandlungen als eine energische, sich mit verschränkten Armen zusammengenommene, selbstbewusste Frau gegeben. Peters gibt der pausenlosen und zweistündigen, im zweiten Teil immer stärker zu Ibsen zurückkehrenden Inszenierung eine kräftige, nicht mehr nur ironische Färbung.
Es ist ein merkwürdiger Abend: Harmlos in seiner dramaturgischen Fassung und ungenau in seiner inhaltlichen Wirkungsabsicht, aber zugleich ein Schauspielerfest. Hier kann sich jeder zeigen, – auch Roland Koch verleiht dem meist nur als Nebenher-Figur gegebenen Wilhelm, ehemaliger Mitarbeiter und Vater Fridas, ein kräftiges Profil. Doch die Vorlage von Stone ist zu dünn, als dass die schauspielerischen Unterhaltungs-Kabinettstücke der Darsteller dem Abend genügend Kraft geben. Zunehmend luftleer wirkt eine Inszenierung, die mit einem Victory-Zeichen des toten Borkman vor dem Vorhang endet: Er hat es hinter sich und ist es zufrieden.
Eigentlich hatte man nach Stones Wiener „Wildente“ vor zwei Jahren eine konzeptionell genauere, eine aktualisierende und tiefer gehende Inszenierung statt dieser Boulevardkomödie nach Ibsen erwartet. Aber natürlich applaudierten die Zuschauer den souveränen Schauspielern gern.