Foto: Das Ensemble im Berliner Bühnentempel © Arno Declair
Text:Detlev Baur, am 4. März 2019
Heinar baut ein Haus, die demnächst wachsende Familie will aufs Land ziehen. Daraus wird schließlich jedoch nichts, denn der im Eigenbau aktive Lehrer widmet sein Lebensprojekt um, statt einem verwechselbaren Häuschen entsteht ein außergewöhnlicher Tempel, antiken Stils, ja eine ganze Tempelanlage. Am Ende – und die Uraufführungs-Inszenierung von Philipp Arnold in den Kammerspielen des Deutschen Theaters beginnt mit Filmabspännen auf der Gaze vor der Bühne – ist der Tempelherr in der Anlage verschollen, seine Frau samt Kind haben längst das Weite, vermutlich die heimische Stadt wieder aufgesucht. „Der Tempelherr“, das neue Stück von Ferdinand Schmalz lässt die Hauptfigur Heinar gar nicht zu Wort kommen; immerhin ist im Personenverzeichnis vorgesehen, die Figur „mit einem bühnentechniker oder einer bühnentechnikerin“ zu besetzen, um im Hintergrund „wie verrückt“ am Bühnenbau zu werkeln. Die Uraufführung verzichtet auf diese inszenatorisch eigenwillige Verkörperung. Somit muss das fünfköpfige Ensemble allein durch sein Sprachspiel dem Bauherren zum Leben verhelfen. Seine (Ex-)Frau Petra, ihre Freundin Christina und deren (in der Sicherheitsbranche tätigen) Mann Thomas, Petras Vater Kurt und der Familienfreund und Architekt Markus rekapitulieren die Geschichte vom Mann, der „an sich selber baut“.
Das Stück ist so brillant wie problematisch. Auschließlich in indirekter Rede entsteht das grandiose Porträt eines Häuslebauers auf Abwegen: Spannungen zwischen Stadt und Land werden da angespielt, Identitätskrisen mit Wohnungsnot verbunden, die Angst vor allem Fremden mit der Suche nach den einfachen Ursprüngen, ja der Hoffnung auf eine Renaissance europäischer Kultur kontrastiert. Das kleine und zugleich globale Land-Stück ist aber auch deshalb schwer spielbar, weil die abwesend-verrückte Hauptfigur zu weitenTeilen eine Metapher ist. Die Idee des Tempelbaus in der deutschen (oder österreichischen) Provinz kann nur einem hochgradig verrückten Gehirn entspringen – oder aber einem metaphorisch sehr wendigen Kopf.
Die Darstellerinnen und Darsteller der Uraufführung gehen ihre Sisyphosaufgabe mit viel Engagement an; zu Beginn scheint es, als ginge es darum, dass fünf Selbstdarsteller sich möglichst auf Kosten der Anderen nach vorne spielen. Dabei wäre es fürs Publikum vielleicht hilfreicher, wenn stärker über die so wundervoll fließende wie kalt abstrahierende Sprache des Dramas des entfremdeten Freundes und Mannes gedacht würde. Erst wenn beim ersten, sprachlich beschriebenen Blick auf den Tempel die nie um eine Geste oder ein Wort verlegene Christina der Linn Reusse feststellt: „ja gut da fehlen uns, fehlen uns die worte das zu fassen“ – wird die Erschütterung der Mitspieler deutlich. Insgesamt ist die Spielfreude des Ensembles ein entscheidender Pluspunkt der Inszenierung; vor allem Linn Reusse und Bernd Moss als Markus bestechen durch starke Präsenz und komische Momente; Natali Seeligs Petra entwickelt auch ihrem metaphorisch angehauchten, ebenfalls nur erzählten Kind Kurt gegenüber, das zwischen mythischem Zwitterwesen aus Mensch und Bremse sowie Ikarus oszilliert, intensive Gefühle. Auch Harald Baumgartners Kurt und Edgar Eckerts Thomas spielen ihre Rollen überzeugend in einem nicht eben leicht bespielbaren Raum. Die Bühne (Viktor Reim) besteht im Zentrum aus einem Trümmerhaufen, der eher an eine Pyramide als an einen Tempel erinnert. Die Kostüme (Julia Dietrich) deuten Opernglamour an; mit tier- oder steinähnlichen Masken verwandeln sich die Akteure auch in lokale Zaungäste des Bauexperiments. Zudem wirkt der Raum auch in Verbindung mit den (Live-)Videos (Sebastian Pircher) etwas überladen; dabei passt die Idee, Heinar durch fremde Linsen darzustellen gut zum anspruchsvollen Text. Die Berliner Uraufführung zeigt in knapp anderthalb Stunden Stärken des Stücks wie die Schwierigkeit seinen ganzen Reichtum durch Menschen aus Fleisch und Blut umzusetzen.