Marijn Simons' Oper "Emilia Galotti" nach Lessing

Keine übliche Repertoireware

Marijn Simons: Emilia Galotti

Theater:Theater Koblenz, Premiere:25.10.2014 (UA)Autor(in) der Vorlage:Gotthold Ephraim LessingRegie:Elmar GoerdenMusikalische Leitung:Enrico Delamboye

„Suchen Sie sich Inseln“ fordert sympathisch der energische Karsten Huschke und bittet zugleich vehement um Geduld. Er hat die musikalische Einstudierung mitverantwortet und führt zur Uraufführung von Marijn Simons Operneinakter „Emilia Galotti“ die zahlreich erschienenen Koblenzer Theatergänger in den Abend ein. Das macht er ziemlich gut. Er spielt mit der Erwartungshaltung – keine übliche Repertoireware, keine knallige große Oper – und bereitet einen auf die Feinheiten des Auftragswerks vor. Es sei wie eine Reise zu einem unbekannten Ziel, „Spitzbergen anstatt Neuseeland“, lautet die griffige Ansage. Damit können alle was anfangen und so sind die Koblenzer in den folgenden 100 Minuten ein wachsam konzentriertes, in seiner Aufmerksamkeit nicht nachlassendes Publikum. Dabei haben sich Huschkes Warnungen alle erfüllt: wenig äußerliche Aktion, die dennoch extreme Gefühlsäußerungen beglaubigen soll. Fremde, ungewohnte Klänge und Cluster, die nur selten an bekanntere Tonfolgen oder gar Melodien erinnern. Ein Akkordeon sorgt für eingängigere, gefühlsgeladene Momente und manchmal erinnert eine Sequenz dann doch an eine vertrautere Weise.

Der Stoff ist bekannt: das bürgerliche Mädchen Emilia steht kurz vor der Hochzeit mit einem Grafen, als der Prinz ein Auge auf sie wirft und sich verliebt. Bei einem fingierten Überfall kommt der Bräutigam zu Tode, die bedrängte Emilia kann den Versuchungen des Prinzen kaum widerstehen und bittet schlussendlich den eigenen Vater, sie zu töten. Anders als Schillers vergleichbare Story von „Kabale und Liebe“ wurde Lessings bürgerliches Trauerspiel bisher nicht vertont. Komponist Simons faszinierte am Stoff, wie Lessing seine Figuren in die Extreme der menschlichen Seele treibt – und darüber hinaus, erzählt er während der Einführung. Ein konservativer, vielleicht etwas strenger Vater werde so weit gebracht, dass er die eigene Tochter umbringt und für einen Moment sogar glaubt, damit das Richtige getan zu haben, so der Komponist. Elmar Goerdens Inszenierung hält den großen Gefühlen stand und wirkt zunächst wie eine kühle Versuchsanordnung: was passiert wenn Element A auf B trifft und C später hinzugegeben wird. Sehr klar, fast kalt ist der Raum von Silvia Merlo und Ulf Stengl. Streng ausgeleuchtet spielt er mit scharfen Kontrasten. Zu Beginn dienen nur zwei Stühle, einer schwarz, einer weiß, dem Spiel der Sänger, am Ende werden es über ein Dutzend gewesen sein, dazu ein mannshoher Bilderrahmen, bespannt mit transparenter Gaze. Immer wieder werden hier Personenkonstellationen wie zu einem Gemälde eingefroren: Emilia als Bildnis, in das sich der Prinz verguckt oder ganz konventionell das sitzende Brautpaar und die stolzen Schwiegereltern dahinter, bevor die ganze Hochzeit vereitelt wird. Es passiert also eigentlich ganz wenig, wodurch aber umso mehr Raum bleibt für Simons spannungsgeladene Musik und die extremen Gefühlslagen. Goerdens Regie überzeugt: Das wenige – eine Umarmung, ein Kuss, ein Schuss – wirkt umso drängender, verstörender. Die Gegensätze der verschiedenen Lebensmodelle, etwa zwischen dem lässigen, sehr selbstgewissen Prinzen (Monica Mascus) und dem rechtschaffen-biederen Vater (Bart Driessen), gelingen sehr überzeugend in Ausdruck und Körperhaltung. Handlanger Marinelli – schön intrigant und skrupellos von Christoph Plessers gesungen, die etwas einfältige Mutter (Anne Catherine Wagner), die abgelegte Geliebte Orsina (Hana Lee) und die neue, noch unschuldige Flamme Emilia der Irina Marinas, sie alle führen den Abend unter Leitung von Enrico Delamboye zum Erfolg. Am Ende viel Applaus für das Auftragswerk. Das Koblenzer Theater hat viel gewagt und – noch mehr gewonnen.