Foto: „News from the Past" © Judith Buss
Text:Detlev Baur, am 18. November 2022
Fast ein Jahr dauert nun schon der russische Angriffskrieg auf die Ukraine an. Die deutschen Theater suchen nach Stoffen und Akteuren aus einem Land, das wir lange nicht als kulturell eigenständig wahrgenommen haben. Der Regisseur Stas Zhyrkov, der Dramaturg Pavlo Arie und der Schauspieler Dmytro Oliynyk haben bereits im September an der Berliner Schaubühne bei einer Produktion mitgewirkt, die auf überzeugende Weise die Sprachlosigkeit von Theaterleuten im Angesicht des Krieges auf der Bühne durchspielte. Im Februar wird Zhyrkov dann mit Geflüchteten die von Arie bearbeitete „Odyssee“ am Düsseldorfer Schauspielhaus inszenieren.
Binationale Geschichtsstunde
Im Werkraum der Münchner Kammerspiele sind zunächst die ukrainische Schauspielerin Vitalina Bibliv und ihr Kollege Dmytro Oliynyk dabei, sich hinter drei großen, schmucklosen Tischen, auf denen vier Mikrofone stehen, auf eine Art Auftritt vorzubereiten. Doch zunächst werden von emotionsloser Computerstimme vorgetragen einige Fakten aus dem Jahr 1931 eingespielt, aus Deutschland wie aus der Sowjetunion. „News from the Past“ ist in der ersten Hälfte der knapp zweistündigen Inszenierung eine relativ schmucklose Geschichtsstunde, die sich darauf konzentriert, deutsche und ukrainische Geschichte von 1931 bis in die 1940er Jahre konzentriert zu vermitteln. Es geht in Deutschland um den Ausbau der Nazi-Macht, um den Krieg gegen die Sowjetunion und um die Planung und Durchführung der Judenvernichtung in Deutschland und Osteuropa. Auf ukrainischer Seite werden die Entwicklung der Sowjetunion und des Stalinismus geschildert und intensiv der sogenannte Holodomor, also die geplante Vernichtung ukrainischer Bevölkerung durch erzwungenes Verhungern.
Auch nach dem Erscheinen der beiden deutschen Mitstreiter:innen Leoni Schulz und Edmund Telgenkämper bleibt das Spiel zunächst verhalten; dem Titel gemäß ist „News from the Past“ eine Geschichtsstunde – in einem „tagesschau“-Video berichtet der 1939 geborene Walter Hess als Nachrichtensprecher vom Kriegsbeginn. Eine Putin-Parodie oder das Geisterspiel um einen russisch-christlich-nationalistischen Text bleiben kurze Zwischenspiele mit aktuellem Bezug. Von den meisten Zuschauer:innen erfordert die (jeweils in der Fremdsprache gesprochene) Hälfte der vom Band oder vom Lesetisch gelesenen Vorträge ein intensives Mitlesen der auf die Rückwand projizierten, übersetzten Texte eine intensive Mitarbeit. Vielleicht wäre ein Exkurs wie der über die von den Nazis einverleibten olympischen Spiele bei allen aktuellen Bezügen zu einem anderen globalen Sportevent auch verzichtbar.
Persönliche Verbindungen
Mit dem von Deutschen organisierten Massaker von Babyn Yar im September 1941 treffen sich dann die beiden Seiten der „Geschichte“. Während Vitalina Bibliv und Dmytro Oliynyk auch persönliche Kriegserlebnisse schildern, samt Video aus einem Bunker der Gegenwart, berichten Edmund Telgenkämper und Leoni Schulz von familiären Vorgeschichten, etwa über einen damals in Charkiw stationierten Großvater. Hier kommen in dieses reduzierte Theater schon durch den Text starke Emotionen ins Spiel. Zudem werden nun die Mikrofone nicht mehr nur hin- und hergereicht, das binationale Ensemble wächst vielmehr zusammen, spricht zu zweit ein Gedicht über den Massenmord an ukrainischen Juden; die vier hören sich gegenseitig zu. Und so verwandeln sie sich spätestens im letzten Bild in eine europäische Familie, wenn Edmund Telgenkämper nach seinem Schlusswort sich zu den drei anderen vor einem alten Radiogerät setzt: „Schau dem Monster ins Gesicht, füttere deinen Dämon, wer weiß, in was er sich am Ende dann Schönes verwandelt…“
„News from the Past“ verbindet eindrucksvoll historische Aufarbeitung und persönliche Schicksale zu einem dichten Schauspiel. Die Verbindung aus Information und szenisch entwickelter, gemeinsamer Bearbeitung von Traumata erscheint als theatergemäßer Weg der Auseinandersetzung mit Krieg und Gewalt.