Foto: Anne-Kristin Schiffmann, Klaus Beyer, Marius Leonard, Bérénice Brause und Bennet Bode in "Romulus der Große" im Schlosshof Celle © Hubertus Blume
Text:Jan Fischer, am 11. Juni 2022
Es könnte alles gut sein für Kaiser Romulus den Großen: Nach 20 Jahren harter Arbeit ist das Römische Weltreich endlich heruntergewirtschaftet, die Germanen stehen – das Lied „Saufi Saufi“ von Tobee im Gepäck – vor der Tür. Es ist ein lauschiger Sommerabend und im Kelch schwappt ein guter Tropfen Wein. Sein Lebensziel, das tyrannische, blutige Imperium im Nichts der Geschichte versinken zu lassen, ist erreicht. Nur leider spielt der Germanenfürst Odokar da nicht mit. Denn der ist mit seiner Armee eigentlich nur gekommen, um vor Rom zu kapitulieren, weil er den Gedanken an ein zu mächtiges Weltreich der Germanen nicht ertragen kann und keine Lust auf Krieg mehr hat. Sowieso wollen beide eigentlich nur Hühner züchten.
Selbstverständlich knirscht und quietscht es im Metapherngetriebe, wenn im Schlosstheater Celle Dürrenmatts „Romulus der Große“ aus der Mottenkiste geholt wird und im Hof des Schlosses mal ordentlich durchgelüftet. Wer will, wer darf, wer sollte Macht haben? Wer kontrolliert den Staat? Was tun, wenn ein Staat zu groß, zu mächtig wird? Wenn das Abendland mal wieder untergeht, vielleicht lohnt es sich, es zumindest ein wenig untergehen zu lassen? Was für eine Kultur ist das überhaupt, die verbreitet und gerettet werden soll?
Ans aktuelle Tagesgeschehen versucht das Programmheft die Inszenierung mit Ausschnitten aus den offenen Briefen von Ralf Fücks und Alice Schwarzer zum Ukraine-Krieg zu koppeln, der vor dem Hintergrund von Dürrenmatts „Romulus der Große“ noch ein wenig absurder wirkt, als sowieso schon. Romulus selbst – als Held des hedonistischen und staatszersetzenden Nichtstuns, dessen einziges Interesse zunächst (scheinbar) seinen Hühnern und dem Wein gelten – wirkt hier zwischen all seinen Ministern, die ihre Kriegstrommeln rühren und ständig auf die Verteidigung des Vaterlandes pochen, wie der einzig vernünftige. „Vaterland“, sagt Romulus, „nennt sich der Staat immer dann, wenn er sich anschickt, auf Menschenmord auszugehen.“
Pazifistisch und antipatriotisch
Unter dem Abendhimmel über dem Celler Schloss, in der Kulisse eines zerbröckelnden Kaiserpalastes wird also vor dem Hintergrund eines Krieges ein zutiefst antipatriotisches und pazifistisches Stück gegeben, das auf den Füßen einer Groteske versucht, die Grenzen von Staaten und Staatsgebilden zu erkunden, den Wahnsinn von Kriegen aufzuzeigen und damit immer auch ein wenig lustig zu sein. Getragen wird das alles von Klaus Beyer als Romulus, der im Laufe der Inszenierung von einem leicht naiven Hühnerzüchterkaiser zu einem knallharten Strategen mutiert, der mit seinem fröhlichen Anarchismus tatsächlich ein Weltreich in die Knie gezwungen hat.
Selbstverständlich bleibt die Inszenierung – die der eigentlich vorgesehen Regisseur Axel Sichrovsky aus persönlichen Gründen nicht bis zum Schluss betreuen konnte – luftiges und leichtes Sommertheater unter freiem Himmel. Hier gibt es keine großartigen Reibungsflächen, keine großartigen Überraschungen. Dennoch ist der Text von Dürrenmatts „Romulus der Große“ komplexer, als er auf den ersten Blick scheint, gerade auch, weil es um die Frage geht, wie es angehen kann, dass ein Staat, der Verbrechen begeht, überhaupt jemals legitimiert sein kann.