Ökosystem Wald
In Dalila Niksics Inszenierung von ist der Wald ein kleines, vom Rest der Welt abgeschottetes Idyll aus buntem Holz. Die Geschwister Greta und Hannes (Nina Holtvoeth und Christian Zell) leben allein mit ihrer Mutter (Alla Cyna), die als Försterin tätig ist. Tagsüber kümmert sie sich um den Wildbestand und kennzeichnet Bäume, die gefällt werden müssen. Abends gibt es für die Familie Stoffspagghetti mit Häkelsauße. Diese heile Welt wird im Handlungsverlauf Stück für Stück abgerissen. Dabei zerlegt das vierköpfige Ensemble sowohl die sozialen Strukturen als auch das Bühnenbild von Marc Mahn in Einzelteile.
Waldrodung
Es beginnt damit, dass die Mutti einen Job in der Stadt annehmen muss. Im Wald gibt es nicht genug Wild und auch der Holzverkauf lohnt sich nicht mehr. Alle wollen nur noch Stühle aus Plastik. Deswegen verkauft sie nach und nach den ganzen Hausrat. Um zumindest einen Teil ihres Zuhauses zu retten, schaffen Greta und Hannes alles, was sie tragen können, in ihr Baumhaus. Das ist gut für Dina (Annamae Endtinger), die nun mal eine Decke, Kissen oder einen Fußball bekommen, während sie dort mit traumatischen Flashbacks aus ihrer Vergangenheit kämpft. Sie ist aus ihrer Heimat geflüchtet und lebt nach dem Motto „Bleib stumm, stell dich dumm“. Nur, wer die passende Fluchtgeschichte erzählt, kann bleiben: Wenn es Land ist, wo die Lebensbedingungen als schlimm genug eingestuft werden. Deswegen sagt sie lieber nichts – oder gibt alle Antwortmöglichkeiten gleichzeitig. Die drei Kinder schaffen es gemeinsam, ihren aus den Fugen geratenen Alltag zu meistern. Für einen kurzen Moment scheint alles okay. Doch dann fällt die Mutti den Baumhausbaum und den umliegenden Wald. Greta, Hannes und Dina stehen vor einer zersägten Heimat und einer ungewissen Zukunft.
Baumstamm-Mikado
„Wildbestand“ konfrontiert sein junges Publikum wie beiläufig mit den großen Problemen unserer Zeit. Dabei schafft das Stück den Spagat zwischen liebevoll lustig gestalteten Charakteren und ernsten Themen. Es geht um Konsum, Nachhaltigkeit und Krieg, Waldsterben, Wohnraum und Flucht – komplexe Inhalte, die sich gegenseitig bedingen und überlappen. Jeder kann selbst aussuchen, welche er aus der Handlung herausgreift. Die passenden Lösungen liefert Autorin Esther Becker nicht. Stattdessen zwingt sie ihr Publikum, diese ungewisse Zukunft zu ertragen. Sie spielt mit der Erwartungshaltung, dass am Ende von Kindererzählungen zwangsläufig ein Happy-End steht. „Es kann schließlich nur das Ende sein, wenn auch alles gut ist. Oder etwa nicht?“