Foto: Svetlana Ignatovich, Thomas E. Bauer und Rolf Romei in "War Requiem" am Theater Basel © Hans Jörg Michel
Text:Georg Rudiger, am 17. Mai 2013
Musiktheater von Calixto Bieito – da denkt man an radikale Zuspitzungen und realistische Darstellungen von Sex und Gewalt. Und an einen Pessimismus, der selbst in der hellsten dramatischen Vorlage noch die dunklen Seiten zeigt. Nun hat der Katalane am Theater Basel Benjamins Brittens düsteres „War Requiem“ in Szene gesetzt. Und zeigt an diesem großartigen, tief berührenden Abend eine ganz andere Seite. Calixto Bieito deutet an, anstatt wie sonst alles explizit darzustellen. Er lässt interpretatorische Freiräume. Und arbeitet mit starken Bildern, die dem Abend bis zum Schluss eine Offenheit geben, die man so bei diesem Regisseur noch nicht gesehen hat. Ab der kommenden Spielzeit ist Bieito „Artist in residence“ am Theater Basel und Mitglied der künstlerischen Leitung um den Intendanten Georges Delnon. Man darf gespannt sein, ob sich die neu gezeigte Subtilität auch in seinen künftigen, spartenübergreifenden Arbeiten am Haus fortsetzen wird.
Dabei ist es kein leichtes Unterfangen, das 1962 zur Einweihung der wieder erbauten, im Zweiten Weltkrieg von deutschen Bomben zerstörten Kathedrale von Coventry überhaupt in Szene zu setzen. Es gibt keine expliziten Rollen und keine Handlung. Benjamin Britten hat den traditionellen, lateinischen Requiemtext kombiniert mit Gedichten des englischen Lyrikers Wilfred Owen, der das Grauen des Ersten Weltkrieges in Worte fasste, bevor er 1918 an der Front in Frankreich starb. Das Werk lebt vom Gegeneinander und Miteinander von Chor, Kinderchor und den drei Solisten, von großem Sinfonieorchester und Kammerorchester, von Kollektiv und Individuum. Am Basler Theater entfaltet der Abend bereits Atmosphäre, bevor er begonnen hat. Susanne Gschwender hat die Bühne in einen weiten, stimmigen Kirchenraum verwandelt. Zwischen Kirchenbänken, mittelalterlich anmutenden Farbfenstern und einem großen Gerüst, das über den Orchestergraben reicht und dem Kammerensemble Platz bietet, entsteht ein religiös aufgeladener Schauplatz, der nicht nur durch das sparsam eingesetzte Licht (Roland Edrich) ein wenig bedrohlich wirkt. Spätestens, als die Kirchenbänke zu Türmen, die an Scheiterhaufen erinnern, aufgeworfen werden, bietet der Raum keine Geborgenheit mehr. Die stete Bedrohung ist auch in der Musik zu hören. Schon nach wenigen Takten schärft Benjamin Britten die Bitte nach ewiger Ruhe mit schneidendem Blech. Das Ewige Licht wird vom ausdrucksstarken Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Gabriel Feltz zum gleißenden Strahl verwandelt, der eher schmerzt als tröstet. Nur in den Stimmen des Kinderchores (stark: Mädchen- und Knabenkantorei Basel, Einstudierung: Cordula Bürgi, Markus Teutschbein) ist noch ein wenig Unschuld zu hören.
Die drei Solisten und die junge Frau, die Bieito als stumme Rolle einführt, sind vom Krieg traumatisiert. Rolf Romei, dessen warmer Tenor in den unbegleiteten Passagen vielleicht eine Spur zu fragil gerät, wird im Leichensack hineingetragen, aus dem er sich erst befreien muss (Kostüme: Ingo Krügler). Die Sopranistin (farbenreich und mit großem dramatischen Potential: Svetlana Ignatovich) schlägt eine Babypuppe gegen die Wand, dass das Blut fließt. Und Thomas E. Bauer (mit mächtigem, dennoch flexiblem Bariton) zückt das Messer. Bieito lässt den Figuren Freiheit. Sie sind Täter und Opfer. Sie suchen die Grenzerfahrung, wenn sie ohne Absicherung auf dem hohen Gerüst herumklettern. Und kommen immer wieder zur Ruhe in diesem eher meditativ gehaltenen Oratorium. Dirigent Gabriel Feltz findet dafür den richtigen Ton und fließende Tempi. Wie die Regie setzt er die Ausdrucksmittel ökonomisch ein. Und hat mit dem so präsenten wie intonationssicheren Chor und Extrachor das Basler Theaters (Einstudierung: Henryk Polus) und dem Sinfonieorchester Basel hochsensible Klangkörper. Maß halten ist das Stichwort des Abends. Selbst die blutige Opferszene deutet Bieito nur an, indem er Thomas E. Bauer das Messer in der Luft führen lässt, während die Knaben leblos zu Boden fallen. Und wenn am Ende zu den versöhnlichen Dur-Akkorden einer von ihnen auf den Trümmerhaufen steigt und ganz langsam und vorsichtig einen Stahlhelm aufsetzt, dann kann man zumindest hoffen, dass dieser Junge vielleicht die richtigen Lehren aus dem Erlebten gezogen hat.