Foto: "Don Juan kommt aus dem Krieg" bei den Salzburger Festspielen 2014 (Regie: Andreas Kriegenburg). Max Simonischek © Monika Rittershaus
Text:Anne Fritsch, am 19. August 2014
Ein Mann. Allein in einer Frauenwelt, der die Männer im Krieg abhanden gekommen sind. Ein Traum für einen wie Don Juan. Könnte man meinen. Oder aber: ein Albtraum. Denn in Ödön von Horváths Schauspiel ist auch der Liebhaber aller Frauen ein Gezeichneter: „Don Juan kommt aus dem Krieg“. Gemeint ist – wie in allen Schauspiel-Produktionen der diesjährigen Salzburger Festspiele – der Erste Weltkrieg. Das Stück spielt in der Zeit danach, während der Inflation, „also in einer Zeit, in der sich, auch im banalsten Sinne des Wortes, alle Werte verschoben haben“, wie Horváth im Vorwort schreibt.
Es hat sich eine Kluft aufgetan zwischen den Frauen daheim und den Männern an der Front. Regisseur und Bühnenbildner Andreas Kriegenburg, der das Stück auf der Pernerinsel in Hallein inszeniert hat, macht diese Kluft gleich zu Beginn in ausdrucksstarken Bildern deutlich. Die Frauen, neun an der Zahl, heben den luftigen Vorhang, der das einzig Leichte an diesem Abend ist, singen Schillers „Reiterlied“ an der Rampe: „Wohl auf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!“ Hinter ihnen, auf einem Podest, über dem hunderte Feldpostbriefe von der Decke hängen, da steht er, der Kamerad, der ins Feld gezogen ist. Mit einer Gasmaske steht er da, der Don Juan, und trommelt. Über die Euphorie der ersten Verse, über die bejubelte Freiheit im Feld, in das der Soldat „keck“ reitet, weil er die Ängste des Lebens weggeworfen hat – darüber ist dieser Don Juan längst hinweg. Er ist am Ende des Lieds angekommen, „hat auf Erden kein bleibend Quartier“: „Er gräbt und schaufelt, solang er lebt, und gräbt, bis er endlich sein Grab sich gräbt.“
Als das Singen zu Ende ist, lesen die Frauen aus den Briefen, von Trennung, von Sehnsucht und Schmerz. Sie lesen, während die Welt um sie herum zugrunde geht. Don Juan rennt um das Podest, bewaffnet und getrieben. Er rennt durch die Asche, die unaufhörlich aus den großen Walzen an der Decke rieselt, durch den ohrenbetäubenden Lärm des Gefechts. Diese zwei Welten, die der Daheimgebliebenen und die der Front, sie sind zu unterschiedlich, um sich zusammenfügen zu lassen. Wer aus diesem Lärm kommt, wie kann er die Stille ertragen? Es ist ein großartiger Einstieg, den Kriegenburg da findet. Verklärung und Realität prallen ungebremst aufeinander, lassen keinen Raum mehr für Illusionen: Dieser Krieg war kein Schauplatz für Heldentaten, er war brutal, bitter und grausam. Wer aus ihm zurückkehrte, war ein Fremder in der Welt.
Ein Anfang, der das ganze Horváthsche Drama erfasst. Denn dieser Don Juan ist dazu verdammt, draußen vor der Tür zu bleiben. Er ist nicht mehr der Liebhaber aller Frauen. Zwar sucht er noch immer nach Vollkommenheit, doch wird er sie niemals finden. Er sucht die eine, die er vor dem Krieg nicht lieben wollte und die ihm jetzt das einzig Liebenswerte scheint. Er sucht sie in jeder Frau, der er begegnet. Und findet sie am Ende in ihrem Grab, das auch das seine werden soll. Max Simonischek spielt diesen traurigen Helden, diesen kläglichen Rest einst überbordender Männlichkeit. Er spielt ihn ohne große Gesten, nimmt sich zurück und zeigt einen Gebrochenen. Den Krieg hat er überlebt, und ist doch ein toter Mann.
Andreas Kriegenburg gelingt ein eindrucksvoller Abend, der zu seiner Theatralität steht und in ihr die Realität der Nachkriegszeit erlebbar macht. Ein Abend, der vom Krieg erzählt, indem er zeigt, was der aus den Menschen macht. Sein Don Juan findet sich wieder in einer Welt, in der die Frauen die neuen Männer sind, sein müssen. Weil von ihren Männern nur die Anzüge geblieben sind, die im Hintergrund auf Bügeln hängen und vergeblich auf die Rückkehr ihrer Träger warten. Sonja Beisswenger, Ilivia Grigolli, Sabine Haupt, Traute Hoess, Elisa Plüss, Nele Rosetz, Janina Sachau, Natalie Seelig und Michaela Steiger sind die gebündelte Weiblichkeit, die dem armen Helden entgegenspringt in all ihren Facetten. Jung, alt, dick, dünn, maskulin oder feminin, lüstern oder verführerisch. Sie alle wollen leben, wollen lieben und geliebt werden. Für jeden wäre hier etwas dabei, nur für Don Juan nicht. Das Unmögliche, das er nun sucht, ist nicht mehr die Liebe aller Frauen, sondern die der einen, die es nicht mehr gibt.