Foto: Das Finale von "Angela I." mit Markus Seuß und Silke Buchholz © Marianne Menke
Text:Michael Laages, am 1. März 2019
An den ganz Mächtigen arbeiten sich die Theater der Welt derzeit eher auf Umwegen ab. Um Bilder von den Trumps & Putins & Erdogans im Kopf des Publikums entstehen zu lassen, werden gerade rauf und runter an den Bühnen Shakespeares „Macbeth„, „König Ubu“ von Alfred Jarry“ oder Brechts „Arturo Ui“ (siehe DdB 4/2019) bemüht. „Echte“ Polit-Porträts, historische Stücke über ehedem aktive Politiker und Politikerinnen aus der Nachbarschaft sozusagen, sind demgegenüber eher selten – und entfalten auch oft nicht die erwünschte Wirkung. Das Stück über Helmut Kohl etwa am Beginn der Saison (in Mannheim, vom Schweizer Autor Lukas Bärfuss geschrieben) war eher kein Ereignis, und das Willy-Brandt-Stück von Tine Rahel Völcker, vor Jahren in Wilhelmshaven uraufgeführt, fand keine Nachahmer. Die Autorin Katja Hensel erzählt nun, angeregt durch den Rückzug Angela Merkels vom Parteivorsitz phantasievoll über „Angela I.“ – Merkel, die erste Königin von Deutschland seit Wilhelm II.? Kehrt die Vergangenheit wieder? Oder hat die Zukunft schon begonnen?
Angela Merkel jedenfalls hat im Stück nicht nur die Partei Partei, sondern auch die Regierung Regierung sein lassen – und ist „von der Brücke“ gegangen. Da weiß unter den Erbverwaltern noch niemand so recht, was zu tun ist bis zur Neuwahl von Kanzlerin oder Kanzler; die Mitglieder der Polit-Kaste wissen zu Beginn nicht einmal genau, wo sich die Ex-Chefin eigentlich aufhält. Katja Hensel legt Spuren aus: Offenkundig hat Merkel sich im eigenen Regierungsfundus versteckt, dort, wo zum Beispiel Geschenke von Potentaten abgelegt werden und ganz viel Akten und Papier. Ayse Gülzüm Özel hat dafür eine Art senkrechtes Puzzle auf die Bühne aufgestellt, das bald Stück für Stück in sich zusammenfällt. Im Fundus herrscht ein stark verstaubter Archiv-Verwalter samt junger Praktikantin – während der Chauffeur der Kanzlerin und deren Stylistin sich um die Zukunft sorgen: das ganze Land, Europa, brauche Führung. Und Merkel haue einfach ab, als wär’s ein Abi-Ball. Aber gehe gleich die Welt unter, bloß weil eine Frau den Zirkus verlässt?
Der Fahrer ist übrigens recht heftig in die Stylistin verliebt, würde sie gern auf der Stelle ehelichen, sie bleibt aber lange skeptisch; im gegenseitigen Gebalze allerdings verfallen beide erstaunlicherweise sogar in gereimtes Sprechen. Katja Hensels Stück will und soll nicht nur der verschwundenen Kanzlerin auf der Spur bleiben (und lässt sie später auch tatsächlich auftreten, mit Hosenanzug, halbwegs ähnlicher Frisur und der ewigen Geste der „Raute“), die Autorin kreiert auch ziemlich viele Handlungsebenen, um Bilder und Phantasien zu schaffen über das Phänomen namens Merkel.
Und das gelingt ohne jegliche Verweise auf politische Aktualität. Leute wie – sagen wir mal – Horst Seehofer schaffen es nur bis zur Fußnote, wenn die gewesene Kanzlerin gegen Ende zwar keinen „runden Tisch“, aber eine lange Tafel aufbaut, an der sie alle, jeden und jede in diesem ihrem Lande versammelt sehen möchte; und zwar möglichst so, dass sich gerade die ärgsten Kontrahenten nebeneinander oder Auge in Auge gegenüber platziert finden. War das Merkels Vision in an sich ja eher visionslosen Zeiten: das große Palaver aller gegen alle? War das das Land, das sie wollte?
Und wollte Katja so tatsächlich fast eineinhalb Jahrzehnte Kanzlerschaft würdigen? Es sieht nicht danach aus. Denn dieser Merkel, die da auf die Gäste wartet (die nicht kommen!), sitzt ein Hexen-Trio wie am Beginn von „Macbeth“ gegenüber: Loki Schmidt, Hannelore Kohl und Doris Schröder-Köpf. Und die drei gehen extrem herb und derb mit Merkel ins Gericht – mit der ewigen „Wir schaffen das!“-Gelassenheit (die bei Schröder noch „ruhige Hand“ hieß) habe sie Demokratie als produktive Streitkultur eher beerdigt als befördert. Und mit absurder Logik wird sie schließlich im letzten Bild (hinter geschlossenem Vorhang!) darum tatsächlich zur Königin ausgerufen.
Stefan Otteni, der Bremer Uraufführungsregisseur, hat alle Hände voll zu tun, die verschiedenen Spielebenen miteinander zu verklammern; denn in der Merkel-Welt treten auch noch geistlos-lärmende Kinder auf Spielzeug-Autos auf und polternde Politiker, die Erben von Merkels Welt. Einer von ihnen leidet so sehr an Selbstzweifeln, dass er zuweilen in Shakespeares Ton verfällt – mit Shylocks schmerzhaftem Monolog („Wenn Ihr uns beschimpft – leiden wir nicht?“) und dem Wunsch des geblendeten Gloucester aus „König Lear“, die Klippen bei Dover hinab zu springen.
So bleibt Hensels Phantasie des Erinnerns vor der Zeit eher unübersichtlich, führt mal hierhin, mal dorthin, aber eher selten mitten hinein in den Kern der Dinge. Der Abend hat viele schöne Momente, aber er flirrt und flimmert und funkelt überhaupt nicht. Erst wer kräftig Schneisen schlüge ins fahrige Spiel, könnte das Drama der Politik entdecken. Vielleicht.