Foto: „Kein Plan (Kafkas Handy)“ © Franziska Götzen
Text:Martina Jacobi, am 21. Februar 2025
In ihrem neuen Stück „Kein Plan (Kafkas Handy)“ für das Theater an der Ruhr verbindet Kathrin Röggla Kafka mit Reichsbürgertum. Philipp Preuss‘ Regie vermag den Text nicht zu enträtseln.
Es ist eine verworrene Realität: Wer kennt die Wahrheit, wer sitzt am gesellschaftlichen Steuerhebel? Auch aus früheren Stücken der Autorin Kathrin Röggla wie „Das Wasser“ über die Klimakrise oder „Verfahren“ über den NSU-Prozess lassen sich durch eine Kafka-Brille lesen. Mit einem bestimmten Abstraktionsgrad dient die abgesteckte Handlung als Projektionsfläche einer Verhandlung, eines vielleicht ausweglosen Prozesses.
In ihrem neuen Stück „Kein Plan (Kafkas Handy)“ für das Theater an der Ruhr möchte die Autorin Kafka mit Reichsbürgertum und verschwindender liberaler Demokratie verbinden. Drei Tage vor der Bundestagswahl setzt das programmatisch ein Zeichen nah an der Politik. Das Theater an der Ruhr steuert mit dem Spielzeit-Insel-Konzept, mit dem Premieren von Performances und Installationen thematisch verbunden werden, dazu einen dunkel-mystischen Rahmen bei: „Geheimnis“ ist in dieser Spielzeit das übergeordnete Thema, vom Ton her auch für diesen Abend passend, denn der deutsche Wald spielt eine große Rolle, der ja viel identitätsstiftende Bedeutung mit sich bringt.
Das Publikum verfolgt in dieser Inszenierung vier Jugendliche durch ein imaginäres Roadmovie: Sie sitzen hinten auf der Rückbank eines Autos, vorne die Eltern, die immer behaupten, zu wissen, wo‘s langgeht: „Diese Abkürzung führt schneller ans Ziel!“, wird gesagt, und dann landet man doch auf irgendeinem Waldweg. Falsch abgebogen, „kein Plan“ halt.
Regeln sind gleich Realität
Trotzdem gibt es auch hier natürlich (Verkehrs)-Regeln, die Wirklichkeits-Orientierung bringen sollen, bis hin zum „Regeln sind gleich Realität“-Konstrukt. Zumindest ist es das, was sich aus Perspektive der vier Protagonist:innen – übrigens mit den Namen Cringe, Asta, Bof und Deepl – als dystopische Coming-of-Age-Geschichte lesen lässt, in der sie sich selber zurechtfinden müssen, denn die Eltern sind schon ausgestiegen.
Auf der mit viel Detailliebe eingerichteten Bühne (Sara Aubrecht) wächst ein toller Wald in ein Wohnzimmer mit Ohrensessel. Die hintere Wand dient als Projektionsfläche, zum Beispiel für Fenster, die so deutsche provinzielle Siedlungshäuser eben haben, mit auf halber Höhe hängenden Omavorhängen, damit man nicht rein- aber rausgucken kann. Es sei eine Siedlung aus den 1930ern heißt es, Neustadt an der Weinstraße, Schrotheim, irgendwo in Rheinland-Pfalz. „Sind wir schon in Russland?“, fragt eine der Figuren.
V.l.n.r. M. Schulte-Werning, J. Zilinske, F. Menéndez. Foto: Franziska Götzen
Die Reise bringt die vier schließlich zu einem Gericht, von „Hochverrat“ ist die Rede. Es ist kein richtiges Gericht allerdings, ein Dachboden wie bei Kafka. Von da „oben“ ist es auch, woher die Handlung teils kommentiert wird, auch wortwörtlich von oben, wo in den von der Bühne aufsteigenden Reihen das Publikum sitzt, das gar nicht so im Dunkeln sitzen soll. Immer wieder wird dort das Licht aufgedreht, werden Zuschauer:innen noch expliziter Teil des Spiels durch eine Kamera, die neben den Darstellenden einzelne Personen filmt, was auf der Bühne groß projiziert wird: „Da sitzt eine Lehrerin, da ein Richter“, „a. D.“ allerdings, außer Dienst.
Orientierungsloser Roadtrip
Dieser orientierungslose Roadtrip eignet sich wunderbar als abstraktes Bild, um ein Raum- und Zeitgefühl aufzulösen. Allerdings bleibt Rögglas Text mit seinem politischem Anspruch doch sehr in dieser Rätselhaftigkeit. Auch wenn Philipp Preuss‘ Regie viele Ansätze zeigt, ihn inszenatorisch mit vielfältigen Mitteln zu unterfüttern. Immer wieder mutiert das Quartett, das in grauer high-visibility-Kleidung stark angestrahlt blendend-reflektierend leuchtet (Kostüm Eva Karobath), zum Verschwörungs-Quartett mit Masken, auf denen man das Reichskreuz, Adler oder Wolf sehen kann. Das facettenreiche Spiel von Fabio Menéndez, Lea Reihl, Marie Schulte-Werning und Joshua Zilinske zieht dabei gut mit, kann die Spannung aber auch nicht durchgehend halten.
Klarer bleibt hoffentlich die Aussagekraft des ganzen spannenden Programms des Theaters während „Geheimnis 2“, um die Gegenwart zu spiegeln, wie beispielsweise mit der Uraufführung „Polyptychon der Niedertracht“. Auch mit eingeladenen Gästen wie Tobias Ginsburg, Autor von „Die Reise ins Reich“, wo er davon berichtet, wie er inkognito in die Reichsbürger-Szene eintauchte.