Foto: Stückankündigung bei der Neuen Bühne Senftenberg (Homepage) © Neue Bühne Senftenberg (Screenshot)
Text:Ute Grundmann, am 6. Mai 2020
Draußen türmt sich der Schnee, drinnen rieselt die Schneekugel. Drama und Idylle – mit diesem Kontrast beginnt „Radio Einsamkeit“, eine Stream-Uraufführung der Neuen Bühne Senftenberg. Geschrieben hat das Stück der Schweizer Autor Nicola Bremer, der sich vor der Pandemie in die „Selbstisolation“ seines Schweizer Elternhauses zurückgezogen und dort einen „Theaterfilm“ über das Radio verfasst hat, das nächste Paradoxon in der Uraufführung zur #instaspielzeit des Theaters.
Im Mittelpunkt steht Maria, Moderatorin des Radiosenders „Fels in der Brandung“, der jetzt eher ein Kiesel im Schneesturm ist. Statt über „Sport, Wetter und Regionales“ zu berichten, wie es Chefin Ida (nur per Laptop „anwesend“) und die Hörer verlangen, will Maria, dass in Adelma endlich mal was los ist. Diese Chance bietet ihr die Schneekrise. Dafür rückt ihr die Kamera sommersprossennah ans bemützte Gesicht, trotz schicker Technik um sie herum spricht sie in ein altmodisch-großes, aufgeständertes Mikro. Und da nervt schon nach dem zweiten Mal ihr genderkorrektes „Hörer – Atemholen – Innen“, das nur geschrieben „Hörer Sternchen Innen“ noch gruseliger wirkt. Und in jeden gefühlt dritten Satz bringt sie ein Zitat ein, vom klassischen „wie schon Goethe sagte“ über Hippokrates, Eco bis zum gerade verstorbenen Norbert Blüm, mal nicht mit dem „Renten“-Spruch. Leider kann Ida sie mit ihren aufgeregten Gesten in dieser Zitaterei nicht bremsen.
Ansonsten bietet der schwarzweiß und in Kooperation mit der Akademie für darstellende Künste Baden-Württemberg gedrehte Theaterfilm zunächst, was der Titel verspricht. Junge und alte Menschen, Einzelne und Paare, lauschen dem, was sich laut Radio draußen in Adelma zusammenschneit. Radiomacher Peter, der das Reglerpult bedient (gerne und oft wird ein harter Schnitt auf einen Finger an einer Taste gezeigt), ist offenbar im Homeoffice samt ungemachtem Bett. Er wird ebenso wie Ida per Laptop zu Maria zugeschaltet. Nur einer bleibt im Dunkeln: Ben in seinem „Sonnenscheinheli“ ist nur eine Stimme im schwarzen Computer, hat aber den Blick auf die Katastrophe.
Denn die kommt natürlich, wenn auch nur in Worten und Geräuschen: Glas splittert, Menschen schreien, eine Mauer stürzt ein, Militär marschiert auf. Maria bleibt natürlich cool, schließlich wollte sie Action: die aber seltsam im Ungefähren bleibt. Denn Maximilian Pellerts Inszenierung (oder Filmregie) blendet alle Bezüge zur Corona-Krise, die Nicola Bremer hineingeschrieben hat, aus. Weder sammelt das Militär, wie in Italien, Tote ohne Särge ein, noch werden die „virenverseuchten Wörter“ debattiert oder auch nur erwähnt. Ebensowenig wie die Mitwirkenden an „Radio Einsamkeit“ – die Darsteller Lena Conrad, Anja Kunzmann, Leon Haller, Tom Bartels. Die wenigen Sekunden bis zur 20-Minuten-Marke hat man leider nicht für einen Abspann genutzt, dafür gibt’s am Ende plakative Reklame für die Seenotrettung „Mission Lifeline“. Einige lose Fäden bleiben also: zweiter Radio-Teil am 12. Mai – gleiche Stelle, gleiche Welle.