Foto: Moritz Peschke und
Henry Meyer in "Professor Bernhardi" am Theater Freiburg © Britt Schilling
Text:Bettina Schulte, am 23. Oktober 2022
Arthur Schnitzler misst in seiner 1912 in Berlin uraufgeführten Komödie (!) „Professor Bernhardi“ ein gesellschaftliches Feld aus: Es ist das des bedrohlich aufkommenden Antisemitismus im Österreich seit der Jahrhundertwende. Doch dass das Stück nicht seiner Zeit verhaftet ist, zeigt aktuell auch die Adaption durch den iranischen Regisseur Amir Reza Koohestani, der am Stadttheater Freiburger unter der Intendanz von Peter Carp seit 2017 bereits zum dritten Mal inszeniert.
Wer allerdings gedacht hätte, Koohestani konstruiere politische Bezüge zur aktuellen Situation in Iran, sah sich getäuscht. Die vom Regisseur und dem Autor Mahin Sadri besorgte Überschreibung von Schnitzlers Text hält sich geradezu verblüffend eng an die Vorlage: Das Personal ist ausgedünnt, die Handlung komprimiert, Seitenstränge sind gekappt – aber angesichts des ausladenden Fünfakters, der unter einer Spielzeit von vier Stunden nicht wegkommen dürfte, ist das auch ein Gebot der Stunde.
Und Koohestani hat eine Frau in das heteronormative Männersetting eingeschmuggelt: Professor Löwenstein, der engagierteste Streiter für Bernhardis Sache, ist bei Anja Schweitzer eine aufbrausend kompromisslose Kämpferin gegen den Staat und seine korrumpierte Politikerkaste. Sie ist die einzige, die sich im schändlichen, machistischen Ränkespiel um Macht und Einfluss auf keinerlei Händel einlassen will: Insofern ist der Genderwechsel konsequent durchdacht. Es ist die zweite weibliche Figur im Ensemble, die ihre Falschaussage gegen Bernhardi am Ende widerruft – nach Ludmilla (Laura Friedmann), die (das war schon bei Schnitzler so) in der Hierarchie ganz unten angesiedelte Krankenschwester.
Karg, aber konzentiert
Der Rest des Personals ist eine ziemlich erbärmliche Versammlung von Männern alias Ärzten, die ihr Süppchen aus Karrieregeilheit, Opportunismus und Populismus kochen. Selbst Professor Bernhardi, der Held, kommt nicht unumschränkt sympathisch rüber: In der Eingangsszene macht er seine Untergebene nach Strich und Faden zur Sau. Nicht schön! Henry Meyer spielt den (Schnitzlers Vater nachempfundenen) jüdischen Mediziner, der aus ärztlicher Pflicht einem katholischen Pfarrer den Zugang zu einer sterbenden jungen Frau – Koohestani macht sie zum 14-jährigen Teenager – verweigert, ohne jedes Pathos als naiven Gutmenschen wie du und ich.
Er scheint überhaupt nicht zu begreifen, welch böse antisemtische Intrige sich um ihn zusammenbraut, zumal er den von Reformplänen durchdrungenen Gesundheitsminister Flint (abgeklärt: Holger Kunkel) auf seiner Seite vermeint. Dass er zur entscheidenden Sitzung des Leitungsteams seiner Klinik allerdings im dunklen Zweireiher (Kostüme: Natasha Jenkins) erscheint, zeigt schon, wohin ihn das Festhalten an seiner Wahrheit führen wird.
Auch die anderen Figuren entledigen sich mit Fortschritt der Handlung ihrer weißen Kittel: Sie haben das Feld der Heilkunst und ihres Ethos verlassen. Man muss sich in dieser kargen Inszenierung, die bis auf einen überdimensionalen Seziertisch, eine Batterie von Stühlen und ein Krankenbett im milchigen Hintergrund den weiten Raum des Großen Hauses in Freiburg leer lässt (Bühne: Éric Soyer), optisch auf Details stützen: Denn hier hat allein die Sprache das Wort. Die alterslose sophistische Rhetorik der Taktiker und die durchaus nicht angestaubte philosophische Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Glauben im Dialog zwischen Bernhardi und dem jungen katholischen Pfarrer Franz Reder (Moritz Peschke) reichen allemal aus für einen spannenden Theaterabend. Wobei auffällt, dass trotz (oder wegen) des ubiquitären Einsatzes von Mikroports die jungen Schauspielenden im Ensemble an Sprechkultur sehr zu wünschen übrig lassen.
Und was nun hat den zwischen Deutschland und Iran pendelnden Regisseur an „Professor Bernhardi“ interessiert? Wenn es die Aufführung selbst nicht zu zeigen vermag, greift man gern auf Interviews zurück: Die differenzierte Betrachtungsweise gesellschaftlicher Konflikte fasziniere ihn, sagt Koohestani. Da kann man ihm nur zustimmen.