Foto: Ensemblebild aus der Karlsruher „The Wreckers“-Inszenierung © Felix Grünschloß
Text:Andreas Falentin, am 30. September 2024
Das Badische Staatstheater Karlsruhe zeigt eine Deutsche Erstaufführung: Ethel Smyths bereits 1906 uraufgeführte romantische Oper „The Wreckers“ über ein Dorf voller Schiffsräuber. Die musikalische Seite überzeugt, die Inszenierung von Keith Warner bleibt trotz des sehr plakativen Stoffes zurückhaltend.
Diese Musik ist tatsächlich aufregend – und ungehört. „The Wreckers“ von Ethel Smyth wurde schon 1906 uraufgeführt, das Badische Staatstheater Karlsruhe präsentiert die Uraufführung der englischen Version der Oper. Und das lohnt sich sehr, weil Georg Fritzsch und die Badische Staatskapelle mit Spannung musizieren und ohne jeden falschen Überdruck ihre raffinierte Klangfarben-Dramaturgie entblättern. So frappieren die kleinteilig komponierten Chorpassagen mit ihren vielen Klangschichten, auch sie faszinierend aufgeführt vom Staatsopernchor. Und das lange Duett von Mark und Thirza ergreift. Es ist fast ein Gegenbild zum zweiten Akt von Wagners „Tristan und Isolde“, nur dass die Protagonisten hier nicht aneinander vorbeisingen, sondern sich aufeinander zubewegen, ohne romantischen Rausch, fast gelassen komponiert, aber immer sehr nah am Liebespaar.
Unter Räubern
„The Wreckers“ spielt in einem abgelegenen Ort in Cornwall, in Südwestengland. Das Meer ist leergefischt, der Boden unfruchtbar. Die Dorfgemeinschaft, angeführt von dem Priester Pascoe und dem Leuchtturmwärter Lawrence, lebt davon, Schiffe auszurauben, die an den Klippen zerschellen. Das Befremdliche an diesem Setting: Es gibt kein Unrechtsbewusstsein, das Rauben und Morden findet im Rahmen einer Art Arbeitsalltag statt. Schließlich hält es der Fischer Mark nicht mehr aus und warnt die Schiffe durch Feuerzeichen. Thirza, die Frau des Priesters, liebt Mark und steht ihm bei.
Die alte Opernfrage: Was ist ein guter Mensch? Diese Frage stellt „The Wreckers“ reziprok. Hier geht es um den schlechten Menschen in der Gruppe. Reicht es, seinen Lebensunterhalt zu „verdienen“? Wo sind die gesellschaftlichen, vielleicht sogar moralischen Pflichten? Durchaus eine scharfe Frage in unserer Zeit, die an der Demokratie zweifelt – und mittelbar also auch an der Gemeinschaft an sich und ihren Grundfesten. Diesen Fragen spürt die Inszenierung von Keith Warner aber nicht nach. Im ersten Akt sehen wir auf eine Art Schiffskirche mit Bullaugentüren (Bühne: Tilo Steffens), in der die Handlung und das Personengeflecht von „The Wreckers“ erzählt wird. Dabei gelingen genau gezeichnete Figuren wie der Leuchtturmwärter von Armin Kolarczyk und seine Tochter Avis (Ralitsa Ralinova), die Mark einmal geliebt hat.
Tolle Sänger, verstörende Kostüme
Thirza und Pascoe aber bleiben ungefähr. Weil Dorothea Spilger etwas Zeit braucht, um sängerisch volle Betriebstemperatur zu erreichen in dieser unbequem hohen Mezzo-Partie. Und weil Konstantin Gorny als Pascoe zwar vorzüglich singt, mit weich abgetöntem Bass, aber seine Figur nur aus Operngesten zusammensetzt. Wir erfahren nicht wirklich, ob er seine Fau Thirza liebt oder wie er das moralische Dilemma sieht, im dem sein Dorf sich befindet. Dazu kommen die Kostüme von Julia Müer und Verena Polkowski. Pascoe trägt einen steifen Mantel, in dem er aussieht wie ein Ritter und der offensichtlich keine schnellen Bewegungen gestattet. Und Thirza und Avis sind ausgestattet als Heilige und Hure, in weiß und schwarz.
Dabei ist es eigentlich die Stärke von Henry B. Brewsters Libretto, dass die Frauenfiguren aus den romantischen Zuschreibungen gelöst werden. Beide Frauen sind selbstständig, nicht auf Männer bezogen. Thirza übt Ehebruch aus freien Stücken aus, ohne jeden Grund als ihre Liebe. Avis ist männerlos und eine Anführerin in der Dorfgemeinschaft. Das ist in der romantische Oper eine kleine Revolution. Auch das wird nicht gezeigt.
Verbrecher sprechen Recht
Im zweiten Akt, dem Akt des großen Duettes, ist die Kirche leergeräumt, Kisten senken sich ab aus dem Schnürboden. Geöffnet enthalten sie Visionsbilder – Tod, Hinrichtung, Meer, Feuer –, strukturieren so den Wechselgesang und machen ihn auch zu einem Drama im Drama, was den Sucher scharf stellt auf die Beziehung des liebenden Paares. Brett Sprague als Mark singt bestechend entspannt und genau, Dorothea Spilger hält jetzt dieses sehr hohe Niveau. Nach einem behutsam artikulierten Orchesterzwischenspiel folgt die behutsam inszenierte Gerichtsverhandlung. Aber die Absurdität des Librettos, dass Verbrecher hier Recht sprechen, bleibt spürbar. Mark und Thirza werden zum Tod durch Ertrinken verurteilt. Das wird fast verstörend realistisch gezeigt.
„The Wreckers“ ist ein großes Erlebnis, die Musik ist durchaus einzigartig. Und das Stück bietet tatsächlich einen weiblichen Blick auf die männliche Romantik. Das macht die herausragend musizierte Karlsruher Aufführung sehr deutlich, trotz der in einigen Passagen zu nüchternen Inszenierung von Keith Warner. Die Aufführung schließt auch eine Lücke in der Musikgeschichte: „The Wreckers“ ist wichtig für die neue britische Oper, besonders als Vorbild von Brittens „Peter Grimes”. Ein toller Auftakt auf der Theaterbaustelle Karlsruhe unter dem neuen Intendanten Christian Firmbach.
Das Stück wird am 25.10. auch in Meiningen Premiere haben, allerdings in deutscher Sprache und mit dem Titel „The Wreckers – Leuchtturm des Todes”.