Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten betritt das Grauen die Bühne, schwarz bekleidete Herren mit bedrohlichen Ausfallschritten und zuckenden Armbewegungen kippen die Bilder, zerren sie schließlich von der Bühne, untermalt von der düster-flirrenden Soundcollage der britischen Band Emptyset. Ausstellungsverbot und Krieg zwingen Schmidt-Rottluff in die innere Emigration, die Kozielska mit einer innigen Szene des Paares ausdrückt: Das ist mit zahlreichen Hebungen und Drehungen brillant getanzt, und doch wirkt die Schönheit und Innigkeit trügerisch in Anbetracht des Schreckens um sie herum.
Weggefährten und der Tod
In den folgenden Szenen treten Weggefährten des Architekturstudenten Schmidt-Rottluff auf, Freunde der Künstlergruppe Brücke oder die Kunsthistorikerin Rosa Schapire (mit bezaubernder Ausstrahlung: Soo-Mi Oh) und seine Mäzenin Hanna Bekker vom Rath (Sandra Ehrensperger). Es wird ausdrucksstark getanzt, mit viel geschwungenen Armen und weit nach hinten gebogenen Rücken. Zeitgenössische Elemente kommen hinzu, etwa als das Böse in Person des Todes auftritt – Raul Arcangelo gibt ihn gebückt trippelnd und mit irr-gruseliger Mimik, bis er einer Dame mit zartem Handstreich die Kehle durchtrennt.
So fließt der Abend dahin – und man wünscht sich nur eines: mehr Farbe! Mehr Farbe jenseits der blass-bunt beleuchteten Säulen und Pappkartons, die später den Berliner Mauerbau symbolisieren. Der Rausch, den Karl Schmidt-Rottluffs Werke entwickeln können und den man erwartet hätte bei einem Tanzabend zum Expressionismus, er fehlt ein wenig im düster-leeren Bühnenbild, das nur gelegentlich durch Pappaufsteller einzelner Bilder des Künstlers bestückt wird: ein Nackter aus dem Bild „Auf der Düne“ oder der Kopf von „Junger Mann mit Pfeife“, vor dem Jean-Blaise Druenne als Maler versunken auf seinem Stuhl sitzt. Mehr Energie, mehr Künstlertum hätte der Choreografie vermutlich gutgetan, doch bei Kozielska überwiegen Anmut und Harmonie.
Der Farbrausch nebenan
Dem Farbrausch kann sich das Publikum dafür im Nachbargebäude hingeben, befinden sich die städtischen Kunstsammlungen mit Schmidt-Rottluffs Bildern doch direkt neben dem Opernhaus, nur einen Steinwurf entfernt. So passt es trefflich, dass tags darauf hier eine große Ausstellung zu „Brücke und Blaue Reiter“ eröffnet wird, die den Sohn der Stadt ins verdiente Rampenlicht rückt. Da hat die Chemnitzer Ballettdirektorin Sabrina Sadowska mit ihrer Idee zum Tanzabend über Karl Schmidt-Rottluff ins Schwarze getroffen.