Foto: Jörg Ratjen in Jelinek-Verkleidung © Tommy Hetzel
Text:Andreas Falentin, am 14. September 2020
Ein großes, leeres Theater übt einen ganz eigenen Zauber aus. Alles, was die Live-Kunstform Theater ausmacht, scheint man hier erspüren zu können, die Inspiration, das gemeinsame Schaffen, die mühselige Arbeit, für das Gefundene eine Form zu finden, die es auf der Bühne strahlen lässt. Das vermittelt sich besonders intensiv, wenn man als Zuschauer dorthin darf, wo man sonst nie hindarf, wenn man über Hinterbühnen geführt wird, an den Künstlergarderoben vorbei, durch Fundus und Requisite. Zwar weiß man als erfahrener Theaterbesucher im Prinzip, wie es da aussieht – aber Erleben ist bekanntlich stets mehr als Wissen. Und ein unbeleuchtetes Bühnenbild, wenn es so bombastisch ist wie die bühnenhohen Greifvogelklauen im Depot 1, wird in diesem Kontext fast schon Theater.
Das Depot im Carlswerk, die längst etablierte Long-Time-Interimsspielstätte des Schauspiels Köln ist tatsächlich eine gewaltige Anlage – und mit 35 Zuschauerinnen und Zuschauern und fast soviel Personal der Bühnen Köln wirkt sie immer noch leer. Stefan Bachmann, dem an selber Stelle im Dezember 2018 mit „Schnee Weiss“ eine herausragende Jelinek-Uraufführung gelang, präsentiert hier jetzt „Schwarzwasser“ in Deutscher Erstaufführung. Damals gab es eine „normale“ Premiere im Depot 2, jetzt einen „Parcours durch ein stillgelegtes Theater“. Sieben Gruppen à je fünf Besucher werden leisen Schrittes durch das Theater geführt und bekommen Jelineks Stoff und Text serviert, in fünf Monologen und zwei Installationen mit jeweils 10 Minuten Länge.
Im Zentrum des Textes steht jenes „Ibiza-Video“, das zum Abschied des FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache (martialisch kumpelhaft gerne „HC“ abgekürzt) von der Macht führte. Wie bei Jelinek üblich ist der Text über Assoziationsketten mit anderen Themen verschnitten, etwa den Flüchtlingsbewegungen und dem Umgang damit oder jeder Art von Frevel an der Natur. Dazu kommen intertextuelle Bezüge, gerne mythisierend, gerne antiker Herkunft. Das Ergebnis ist, hier wie immer in den letzten Jahren, eine gewaltige, großenteils hermetische Textfläche, aus der laut Wut zu uns dringt und die immer wieder Schlussfolgerungen zieht und Herleitungen findet, die uns treffen, denen wir uns zumindest nicht entziehen können.
Die Reise beginnt. Tom Radisch liegt unter der Tribüne von Depot 1 wie ein Robinson Crusoe auf Sand neben einem blauen Planschbecken und redet. Wir sitzen etliche Meter entfernt und sind durch einen Gazeschleier getrennt. Nach zehn Minuten machen wir uns auf den Weg zu Nicola Gründel, umgeben von leeren Getränkedosen im Lastenaufzug. Ach ja, Red Bull, Matteschitz, alles Österreich. Im Fundus sehen wir die Gesichter der Schauspieler auf Monitoren und hören Text. Auf der Behindertentoilette spricht der Schauspieler Jörg Ratjen in Jelinek-Perücke zu uns. Sein Badeanzug zeigt, wie alle Kostüme von Jana Findeklee und Joki Tewes, Motive von EU-Geldscheinen. Dann kommt Peter Knaack im Heizungsraum zu uns, wir umwandern Graffiti-Wände und schauen auf eine dreidimensional eingefrorene Ibiza-Video-Szene und begegnen schließlich Lola Klamroth in der Grotte, dem Studio-Experimentierbühnchen des Hauses.
Sieben Happen, alles klar und kontrolliert inszeniert und klug durchdacht. Aber es zieht vorbei. Man lernt unfreiwillig über Jelinek auf dem Theater: Als reine Monologe funktionieren die Stücke offenbar nicht. Zu weit ist der Weg zum Publikum. Es braucht offenbar die Interaktion zwischen Schauspielern, zumindest deren sich verhalten zueinander, zum Monolog der oder des jeweils anderen als Verstärker. Und es braucht Zeit. Zehn Minuten sind zu wenig, um sich zu erfreuen, um getroffen, um wütend zu werden, um Penetranz zu etablieren, der man nicht entkommen kann. Anders gesprochen: Die Temperatur in dieser Textsauna wird nie hoch genug und die Gänge sind zu schnell vorbei.
Dabei soll und kann hier absolut nichts gegen die Leistungen der Schauspielerinnen und Schauspieler gesagt werden, die alle hervorragend sprechen und ihre Texte grandios strukturieren und so erfahrbar machen. Peter Knaack und Lola Klamroth gelang sogar eine Verlebendigung. Bei ihnen sprach ein Mensch aus der Suada, vielleicht auch, weil sie die zwei letzten Acts auf meinem Rundweg waren und es zu dem Zeitpunkt fünfmal (Knaack) oder sechsmal (Klamroth) gemacht haben. Die zudem zum Schluss mit der per Monitor zugespielten Vera Flück eine fantastische Dialogpartnerin bekam. Was dem Text sofort Flügel und Dynamik verlieh.
Gewiss ist „Schwarzwasser“ nicht Elfriede Jelineks stärkster Text und genauso gewiss hat aber Stefan Bachmann nicht die passende Darreichungsform gefunden. Er hat konsumierbare Häppchen aus dem Text gebrochen, die das, in der besuchten dritten Vorstellung, enthusiastisch jubelnde Publikum offenbar hervorragend unterhalten haben. Und ihm die Möglichkeit gaben, sich auf der richtigen Seite zu wähnen. Aber schreibt Elfriede Jelinek Boulevard-Kabarett? Und warum muss immer geschwiegen werden auf den Wegen dazwischen, schreiten die schwarz gekleideten Guides stets so gemessen und geradezu priesterlich geheimnisvoll? Wäre es nicht schöner, zwischen den Szenen einen Dialog innerhalb der durchgängig Masken tragenden Gruppen anzuregen? Themen und Argumente könnten individuell scharf gestellt, Erlebtes geteilt, Konzentration durch zwischenzeitliche Entspannung geschärft werden. Geschieht das aus Angst vor Aufgabe des Abstands?
Vermutlich.Und natürlich trifft einen auch in dieser gedämpften Präsentation hier und da ein Halbsatz, eine garstige Metapher, eine hochelegante Sottise. Und natürlich ist der Parcours nicht die Form der Wahl, sollte die im März fast fertig geprobte Inszenierung von Stefan Bachmann ursprünglich in ganz anderer Form stattfinden. Jetzt ist „Schwarzwasser“ notgedrungen in erster Linie Corona-Format, Freund, Opfer, Sklave und Folge der Hygiene-Konzeptionierung. Und muss damit per se um sein Leben kämpfen. Wie so viele im Moment. Glückauf!