Foto: "Siegfrieds Erben" bei den Nibelungenfestspielen Worms © David Baltzer
Text:Björn Hayer, am 21. Juli 2018
Es ist die Stunde Null nach einer epochalen Kriegsfehde: Siegfried, Kriemhild, Hagen – all die Gestalten der urdeutschesten Saga überhaupt haben am Hof Etzels ihren Tod gefunden. Auch aufseiten des Hunnenkönigs wiegen die Verluste schwer. Die Uraufführung von Feridun Zaimoglus und Günter Senkels Fortschreibung des Nibelungenstoffes im Rahmen der Wormser Festspiele beginnt mit dem gebeutelten Regenten, der seinen toten Sohn zu Grabe trägt. Kehrt nun endlich Frieden ein? Keineswegs, denn der Fluch des versunkenen Schatzes, er wirkt weiter, im Blut der Nachkommen.
Unter der Regie von Roger Vontobel erleben wir vor dem Dom in der ansonsten etwas verschlafenen Stadt ein archaisches Spektakel. Der Entschluss Etzels (Jürgen Prochnow), ins Burgundenland zu reisen, um das verschollene Gold zu finden und seinen Herrschaftsanspruch durchzusetzen, wird begleitet von einer Streicherkombo und einem faszinierenden Inuit-Kehlgesang – Musik, die sich aufbaut, anstaut, um sich dann immer wieder zu entladen.
Und während sich die geschundene Brunhild samt Siegrieds Eltern in Worms noch in naiver Sicherheit wiegt, bahnt sich eine braune Flüssigkeit, die einen unmittelbar an Blut denken lässt, ihren Weg durch den Bühnenboden. Mit dem gewaltsamen Eintreffen Etzels versucht sich die Wormser Sippschaft noch durch Heiratspolitik zu retten. Am Ende lassen sich allerdings alle von ihrem Rachedurst und ihren Affekten lenken. Außer dem Hunnenfürst und dem Sohn Siegfrieds und Brunhilds wird niemand die Chose überleben. Gunther findet seinen Tod in einem urplötzlich in der Mitte der Bühne entstehenden Abgrund, aus dem die Flammen lodern. Den anderen bricht man das Genick. Offenkundig ist einmal mehr: Die Verdammnis der Nibelungen wird nie enden.
Mit einem starken Text verschieben die Autoren den Fokus der Geschichte auf einen Kulturen- und Geschlechterkampf. Immer wieder spricht die von einer überwältigenden Ursula Strauss verkörperte Brunhild von ihrer Aufspießung in der Hochzeitsnacht mit Siegfried. Zu den stärksten Momenten dieser Aufführung zählt zweifelsohne ihr Monolog über ihre Vergewaltigung, während sie das überdimensionierte Schwert eines Hunnenschergen als Phallussymbol umklammert. Dabei verläuft die Konfliktlinie nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen Christen- und Heidentum. Nachdem sich keine dieser Oppositionen gut auflöst, bleiben neben den zahlreichen Leichen nur noch Matsch und Asche auf dem Parkett übrig.
Neben den stimmigen Bildern, die dieser Inszenierung zu ihrem Gelingen verhelfen, überzeugt vor allem die dichte Atmosphäre. Live-Videos, technisch anspruchsvolle Projektionen auf die Domfassade sowie die Streicher geben den diesjährigen Nibelungenfestspielen bisweilen die Aura eines fast schon Wagnerianischen Gesamtkunstwerkes, versetzt mit Einsprengseln wie von Frank Castorf und Ulrich Rasche. Entstaubt hat man den Mythos damit allemal. Mehr noch: Er mutet so aktuell, vielleicht auch so zeitlos wie selten zuvor an.