Foto: Dominique Horwitz als Wallenstein in Erfurt © Matthias Horn
Text:Frank Weigand, am 2. Februar 2015
„Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze / Drum muss er geizen mit der Gegenwart.“ Dominique Horwitz spricht diese längst zum Kalenderspruch gewordenen Worte ganz im Gestus des Großschauspielers. Als er im schwarzen Anzug durch einen roten Samtvorhang die Bühne betritt und ein auf einem grauen Podest bereitgestelltes Mikrophon ergreift, scheinen sich die schlimmsten Befürchtungen des Kritikers zu bewahrheiten: Hier steht ein Star auf den Brettern, der aus Schillers „Wallenstein“ ganz offensichtlich eine One-Man-Show machen will und bereits bei der Rezitation des Prologs so richtig in die Vollen geht. Manieriert kaut Horowitz Silben, hebt die Augenbrauen und schmeckt den klassischen Blankversen nach. Eine Darbietung auf der Kippe zur Selbstparodie.
Doch kaum ist dieses Vorspiel beendet, finden wir uns inmitten eines ganz anderen Szenarios wieder. Der Krieg, zeigt uns Hasko Weber in „Wallensteins Lager“, hat alle seine Teilnehmer aufs tiefste versehrt und ausgebrannt. Die Soldaten sind Folterknechte geworden, ihre Generäle machtgierige Mafiosi auf Koks, die sich wie die abgehalfterten Protagonisten eines B-Movies gebärden. Wallenstein selbst jedoch ist vor allem eines: müde. Die gedrungene ausgemergelte Gestalt, in der Horwitz sich fortan über viereinhalb Stunden mit bandagierten Füßen über die Bühne schleppt, ist kein Held, kein charismatischer Machtpolitiker mehr, sondern ein zutiefst durchschnittlicher Schmerzensmann, der seiner Führerrolle längst überdrüssig zu sein scheint.
Überhaupt wirkt Webers Inszenierung des klug zusammengestrichenen Gesamt-„Wallensteins“ seltsam heruntergedimmt. Zwar wird der klassische Text nahezu unentstellt serviert, doch fehlt bei all dem hohen Ton die tragische Fallhöhe. Sowohl die Figur des gescheiterten Feldherrn Wallenstein als auch das Paar der idealistisch Liebenden Max (Tobias Schormann) und Thekla (Nora Quest) bekommen von Weber nur wenig Platz eingeräumt. All die Intrigen zwischen Fürsten und Generälen scheinen eigenartig austauschbar – und auch Octavio Piccolomini (Ingolf Müller-Beck), der zuletzt als intriganter Sieger aus den politischen Lügengebilden hervorgeht, ist lediglich ein glanzloser Emporkömmling ohne Charisma, der sich bestenfalls einen anderen Herren gesucht hat. Die einzige interessante Gestalt unter diesen seltsam inhaltsleeren Figuren, ist Theresa Gräfin Terzky (Johanna Geißler), der eigentliche Motor des Geschehens. Sie überwacht die Beziehung der Liebenden, stachelt Wallenstein zur Rebellion auf und versucht den Ermüdeten zuletzt vergeblich noch einmal unter Aufbietung ihrer körperlichen Reize zu mobilisieren. Doch auch sie bleibt seltsam gefasst, als am Ende alles in Scherben liegt, Wallenstein und ihr Ehemann ermordet sind und alle Hoffnungen auf gesellschaftlichen Aufstieg sich zerschlagen haben. Ihr Selbstmord geschieht ruhig und beinahe beiläufig in den Kulissen.
Webers Inszenierung versucht nicht, das Schillersche Historiendrama mit Gewalt ins Hier und Heute zu verpflanzen. Stattdessen arbeitet sie mit universell verständlichen Versatzstücken aus der Popkultur. So scheinen die Generäle allesamt einem Film von Quentin Tarantino entsprungen und tragen entweder Mafiosi-Anzüge wie in „Reservoir Dogs“ oder braune Ledermäntel à la „Inglorious Basterds“ – die berühmte Folterszene aus „Reservoir Dogs“ zitiert Weber auch gleich zu Anfang, als in „Wallensteins Lager“ ein Soldat seinem Opfer in einem Akt sinnloser Verrohrung das Ohr abtrennt. Ansonsten sind Effekte eher sparsam gesetzt. Im Hintergrund dräut ständig eine metallische Geräuschkulisse aus Schlachtenlärm – und Thilo Reuthers Räume stellen die Protagonisten verloren in riesenhafte leere Kathedralen oder zwingen sie durch den gesenkten Eisernen Vorhang zum Buckeln. Wenige zeitgenössische Accessoires wie Pistolen, ein Laptop und ein Transistorradio verorten das Geschehen in einer unbestimmten Gegenwart, ohne dabei in ein genauer definiertes Milieu zu verfallen.
Man kann der Inszenierung vorwerfen, dass sie die überdeutliche Regiehandschrift, den markigen Zugriff verweigert und Schiller unbehelligt Schiller sein lässt – gerade durch die behutsamen Anspielungen und das merkwürdige Understatement des Spiels gelingt es Weber jedoch tatsächlich, seinen Wallenstein ins Heute zu retten. Der Regisseur öffnet dem Publikum Räume für eigene Interpretationen (das omnipräsente Kreuzsymbol und die schwarze Vermummung von Wallensteins Mörder evozieren Terrorismus und aktuelle Religionskriege), gibt aber niemals eine Deutung vor. Der Abend ist keine große Solonummer für Horwitz, sondern ein Ensemblestück im besten Sinne, in dem jeder seinen Part spielt, doch keiner absolut herausragt. Dies scheint auch Teil des Inszenierungskonzepts zu sein: Protagonist ist hier eben kein tragisches Individuum mehr, sondern der universell weiterrollende Apparat von Krieg und Politik, der auch 500 Jahre nach dem 30jährigen Krieg immer noch genauso funktioniert wie früher. Machtkämpfe wird es immer geben. Die Akteure jedoch bleiben austauschbar. Dies ist das pessimistische Fazit eines Theaterabends, der sicherlich zu den behutsamsten „Wallensteins“ in der jüngeren Geschichte gehört.