Einen ähnlichen Weg geht Inga Schulte mit ihrer „Pierrot Lunaire“ – Inszenierung. Jetzt ist der regelmäßige Kasten mit Türen umgeben. Irgendwann wird sich die Rückwand teilen und den Blick auf den Mond freigeben, ins Kosmische. Zu den sanften, konkreten Andeutungen treten jetzt kräftige, nah am Kitsch entlang wandernde, diesem aber nie verfallende Bildsymbole: ein schwarzer Engel, das Auge als Mondscheibe, Blut auf Weiß, weiße Rosen, Kerzen. Immer wieder taucht, in verschiedenen Rollen, ein tanzendes Paar auf, wie Statthalter des Eros. Anne Catherine Wagner, die entspannt gestaltet, der man vor allem gut zuhören, die man vor allem gut verstehen kann, erscheint in Weiß. Der Pierrot auf der Bühne scheint ihr Alter Ego, ihr Spiegelbild zu sein. Wenn sie sich schneidet, hat er Schmerzen. Aber auch dies ist kein Interpretationsansatz, sondern „nur“ eine Spielvereinbarung, eine Hilfsgröße, mit der sich der Zuschauer selber einen Weg durch die Sprachmacht und Symbolgewalt von Albert Girauds Text und den Reichtum von Schönbergs Musik bahnen darf.
Klingt in der „Verklärten Nacht“ noch vieles nach Brahms und sogar Beethoven, sind wir im 1912 uraufgeführten „Pierrot Lunaire“ im 20. Jahrhundert angekommen, in einer Keimzelle der Moderne. Hier ist Romantik nur mehr eine abgelegte Haut. Die Komposition tastet sich behutsam, vielfarbig schillernd und unter Schmerzen ins Freie. Inga Schultes Inszenierung scheint das zu wissen, die fünf Musiker machen das auf bestechende Weise hörbar. Koordiniert wird das Ganze von Karsten Huschke, der einmal mehr seine herausragende Kompetenz im Umgang mit der Musik des 20. Jahrhunderts nachweist. Der Koblenzer Hauskapellmeister dirigiert den „Pierrot“, ist hier auch Souffleur, verantwortet die musikalische Einstudierung beider Stücke und die feurige, produktiv verschrobene Publikumseinführung. Auch durch ihn wird diese kleine Produktion, die wie nebenbei zwei für den Konzertsaal geschriebene Werke auf der Bühne belebt, zu einem großen Plädoyer für die Institution Mehrspartentheater.