Foto: "k." ist ein Internetprojekt des Schauspiel Leipzig in Zeiten von Corona: hier Felix Axel Preißler © Jule Franzen
Text:Tobias Prüwer, am 5. April 2020
Hell und warm illuminiertes Theaterfoyer. Schnitt. Satt-rote Theaterbestuhlung im Zuschauersaal. Schnitt. Eine weiß-graue Winterlandschaft, verschneite Wiese, Waldrand im Hintergrund. Klavierspiel. Das Publikum nimmt vor den Rechnern Platz, unsichtbar hebt sich der Eiserne. K. rückt ins Bild als halber Torso in Winterjacke und mit Fellmütze auf dem Kopf. Das Internetprojekt „k.“ beginnt: Fürs Leipziger Schauspiel hat Regisseur Philipp Preuss ein sprachlich überzeugendes Hörspiel gestaltet und ihm mit Effekten eines Videokonferenz-Programms eine visuelle Ebene gegeben.
„Die Erlaubnis muß man haben… Oder muß man etwa die Erlaubnis nicht haben?“ – Nach Franz Kafkas Texten wie „Das Schloss“ arrangieren die Schauspieler an vier Abenden eine Serie von Suchbewegungen. Protagonist K. irrt umher, sucht Kontakt und Verknüpfungen, Zugänge, Portale und Interfaces, um seiner solipsistischen Welt zu entkommen. Gibt es neben dem Ich noch etwas, ein Nicht-Ich außerhalb des eigenen Bewusstseins?
In dieser versuchten Kontaktaufnahme tritt Felix Axel Preißler als K. auf, ist als einziger der Schauspielenden klar zu erkennen. Die anderen Sieben erscheinen geister- und schemenhaft, haben mal nur Gesichter auf die Wangen gemalt, sind mal von Filtereffekten wie Nebel und Unschärfen maskenhaft ent- und verstellt. Manchmal ist K. allein zu sehen, dann ploppt neben seinem Video-Frame ein anderer auf oder erscheinen alle Figuren in der Galerieansicht.
Dass so zerfranst ineinanderzuschneiden, Fenster gegeneinander nebeneinander zu setzen, ist erst einmal interessant. Denn natürlich bringt die Ungleichzeitigkeit, die die digitale Distanz zwischen den Sprechenden herstellt, den Verlust des Timings und eigene verfremdende Momente mit, was Verzögerung und Verzerrung schafft. Das fügt sich gut zu Kafkas labyrinthischem Textfragment.
Das Schauspiel Leipzig hat sich entschieden, kein Bühnengeschehen einfach abzufilmen, also aus einem leeren Saal zu streamen. Das ist immer schon Reduktion, wie jeder Mitschnitt nur Theater als Schrumpfform wiedergibt. Da ist die Idee eines anderen Ansatzes keine schlechte. Dass hier nicht mehr entsteht als ein Hörspiel mit visuellen Effekten, liegt weniger an der Regie als am Medium Videokonferenz. Die zu dick aufgetragenen visuellen Effekte kann man verschmerzen. So ist das eben mit neuen Spielzeugen. Letztlich wohnt man einer künstlerisch übertünchten Videokonferenz bei.
Die Texte sind gut ineinander geschnitten, man folgt gern den inhaltlich erratischen Audiospuren. Die verschiedenen Mikroqualitäten kann man überhören. Aber hier zeigt sich schon das Problem. Die blechern-scheppernde Akustik kennt man aus den derzeit vielen Kontaktaufnahmen zu Freunden oder der Familie – oder aus dem Übermaß an Konferenzschaltungen, mit denen die Fernsehmacher in Zeiten der Pandemie arbeiten. Will man das ein weiteres Mal hören und sehen?
Denn natürlich bleibt das Projekt visuell flach, auch wenn die Schauspielenden versuchen, nicht in die Kamera zu schauen und ihre Blicke anders zu streuen. Das Zoom-Format zwingt einfach zur Totalen vorm Screen. Dass man selbst als Zuschauer nicht interagieren kann, die Chatfunktion aus ist, hinterlässt ein komisches Gefühl. Live-Charakter wird während der knapp 40 Minuten nicht spürbar. Man könnte auch einen vorproduzierten Film anschauen, der bloß auf einem anderen Abspielmedium läuft – während sich die Kritikerkollegen via Facebook austauschen. Dem allein vorm Rechner beizuwohnen, ist höchstens ein Theater der Mängel. Während es das Programm zulassen würde, die anderen der maximal 40 zugelassenen Zuschauer einzublenden und wenigstens im Studium ihrer Blicke so etwas wie Publikums- und Zeugengemeinschaft zu erleben, bleibt das Zuschauer-Ich hier allein. Einsam auf den Screen starren, darin besteht seine einzige Möglichkeit passiver Kontaktaufnahme. Da wirkt es fast zynisch, wenn sich das Projekt mit dem Joy-Division-Song „Isolation“ als Cliffhanger bis in die nächste Woche verabschiedet.
Die Kommunikationssituation von „Das Schloss“, besser: die Situation der misslingenden Kommunikation auf das Notnagelmedium Videokonferenz zu übertragen, hat einen gewissen Charme. Immerhin gelten Programme wie Zoom als die Lösung der Stunde. Ihre Beschränkung aufzuzeigen, dazu zwingt die Lockdown-Situation und dazu, durch Verlust erfahrbar zu machen, was Unmittelbarkeit bedeuten kann. Dass just beim für „k.“ verwendeten Programm Zoom massive Sicherheitslücken auftraten, kann man in dieser Hinsicht auch als Wagnis und Risikofreude deuten. Hacker haben es Berichten zufolge leicht, in die Rechner von Zoom-Benutzern einzudringen. Vielleicht also ist das Ich doch nicht isoliert, kommt das Nicht-Ich nur durch die trojanische Hintertür.