Foto: Klaus Florian Vogt als Tannhäuser © Wilfried Hösl
Text:Joachim Lange, am 18. Mai 2017
Romeo Castellucci inszeniert, Kirill Petrenko dirigiert Wagners „Tannhäuser“ an der Bayerischen Staatsoper in München.
Mit seinem „Parsifal“ vor sechs Jahren in Brüssel hatte sich der Italiener Romeo Castellucci als ein wagnerkompatibler Gesamtkunstwerker ausgewiesen. Die Geschichte des reinen Thoren als Operneinstiegsdroge für einen Theatervisionär, jenseits der Pfade des interpretierenden Erzählens und ohne deren vertraute Insignien. Dafür mit einem Wechselbad von überschießender Opulenz und radikaler Reduktion. So ähnlich geht es jetzt auch in seiner „Tannhäuser“-Installation (weniger Inszenierung) in München zu. Dabei lässt er vor allem Assoziationen von der Leine. Die kommen schnell mal vom Fluchtweg aus dem Venusberg, dem Pfad zur Wartburg oder gar dem Pilgerweg nach Rom und zurück ab. Entschweben in die assoziativen Höhen von Zeit und Raum. Oder dem Dahinter…. Wenn er es unter dem nicht macht, dann darf er sich damit irgendwie ja durchaus auf den notorischen Grenzüberschreiter Wagner berufen.
Anders als in seinem „Parsifal“, setzt er diesmal nicht so sehr darauf, dass aus der Opulenz seiner Kunsträume und Bilder eine autonome Theaterwahrheit neu erwächst. Diesmal muss auch die pure szenische Verweigerung zusammen mit der Musik im Kopf der Zuschauer (bestenfalls) etwas freisetzen. Beispielsweise beim Sängerwettstreit. Selbst vom Blatt gespielt ist der mit seiner Spannung und einem Eklat vom Feinsten eine sichere Nummer. In München ist es ein Liedvortrag im Wagner-Spa. Zu dem sich der Landgraf auch noch wie bei einer Priesterweihe auf dem Boden ausstreckt und jede Handlung von einem dauerbewegten, luftig transparenten Gardinenlabyrinth verweht wird. Wenn dann auch noch der Tannhäusernovize Klaus Florian Vogt, aber auch Christian Gerhaher (der mit seinem Wolfram bspw. in Wien ja die Zeit anhalten und den Atem der Zuschauer stocken ließ) jetzt mehr auf den kreativ interpretierenden Liedsänger setzt und seinen Rollenporträts eine weitere Facette hinzufügt, und auch Vogt den glockenklaren Liedton pflegt, dann ist „Tannhäuser“ als die Geschichte des Mannes zwischen zwei Frauen bzw. Idealen oder des Künstler im Ringen mit sich selbst, auch vokal gänzlich ins Castellucci-Universum entschwunden. In der Romerzählung bewährt sich Vogt dann nicht nur mit der Schwanenritter-Reinheit seiner Stimme, sondern auch mit konditionsstarker Eloquenz. Der ideale Tanhäuser ist er dennoch nicht.
Wobei das Ganze in München auch „Elisabeth“ heißen könnte. Denn die großartige (wenngleich diesmal darstellerisch nicht geforderte) Anja Harteros ist die begehrte, nicht erreichte Liebe des Sängers, der sich auf den Pfaden des Begehrens verirrt. Diese Elisabeth unterschlägt kein Piano, leuchtet und schwebt vokal immer noch etwas über den anderen, ebenfalls handverlesenen Protagonisten. Dazu gehört schon einiges. Wenn man, wie in München, für eine Inszenierung mit szenischem Risiko und einen gleichsam besessenen Klangmagier (und Tannhäuser-Debütanten) wie Krill Petrenko am Pult, eine Sängerriege aufbietet, bei der Georg Zeppenfeld den Landgrafen und Christian Gerhaher den Wolfram auf der Höhe des derzeit live Möglichen verkörpern. Elena Pankratova eine Venus im Powerformat liefert und alle übrigen Sänger und der Chor in Topform sind. Dazu gibt es als Schmankerl mit Klaus Florian Vogt den (oder besser: einen) Lieblings-Lohnengin der Wagnergemeinde mit seinem Rollendebüt als Tannhäuser.
In der philosophisch aufgeladenen Düsternis des dritten Aktes finden Tannhäuser und Elisabeth sogar zusammen. Doch erst am Ende aller Zeiten, jenseits jeder naturwissenschaftlichen Vorstellungskraft. Die nachgebildeten toten Heinrich- und Elisabeth-Körper werden auf Sockeln aufgebahrt, die mit ihren richtigen Namen Klaus und Anja versehen sind. Gemeinsam mit den beiden Opernfiguren beobachten wir die Verwesung und den Zerfall ihrer sterblichen Überreste über Jahrmilliarden hinweg. Bis zu kosmischem Staub. Ein naturwissenschaftlicher Kalauer als Apostroph zur christlichen Erlösungshoffnung? Auf alle Fälle ein Beispiel für den theatralischen Eigensinn des Regisseurs und Ausstatters Romeo Castellucci.
Musikalisch ist das Ganze Wohlfühlwagner vom Feinsten. Dass die Protagonisten streckenweise auch wie beim Spa-Besuch aussehen, Tannhäusers erste Worte „Zu viel“ ein zu viel pure Fleischmassen mit Venuskopf meint, sich das Pilgermotiv in lauter abgetrennten Füßen wiederfindet, auch Tannhäuser selbst von symbolhaften Pfeilen verfolgt und getroffen wird und einer davon gleichsam im Flug stehen bleibt, während die vergehenden Jahre aufs Unendliche zulaufen, all das gehört zu den Herausforderungen, denen man sich stellen oder verweigern kann. Die man aber bei Nikolaus Bachler im Nationaltheater, neben der musikalischen Kulinarik immer auch geboten bekommt. Petrenko erweist sich auch bei Tannhäuser (in der Wiener Fassung von 1875) als ein wagneraffiner, akribischer Klangmagier mit Liebe zum Detail und Gefühl für Leidenschaft, denen er auch ihre ruhigen Momente gönnt. Am Ende Jubel für ihn und alle Interpreten, mit gepfefferten Buhs für die Regie – was sonst.