Gunther (matthias Guggenberger) besiegt Brunhild (Christiane Wilke), links Norhild Reinicke als Helfer Siegfried mit Tarnkappe

Jeder ist mal Siegfried

Mathias Spaan: Die Nibelungen

Theater:Landestheater Burghofbühne, Premiere:07.01.2022Autor(in) der Vorlage:Friedrich HebbelRegie:David Schnaegelberger

Am Anfang ist Siegfried bereits tot. Brunhild, Kriemhild, Gunther, Hagen und Volker finden das richtig und möchten sich trotzdem noch einmal klarmachen, wie es denn nun wirklich zu diesem Heldenmord gekommen ist. Sie spielen die Geschehnisse nach und jeder und jede darf oder muss irgendwann Siegfried spielen.

Mit dieser Setzung versucht Mathias Spaan den bekannten Stoff neu zu ordnen, vor allem: neu zu öffnen. In der Erzähldramaturgie folgt er im Wesentlichen dem ersten Teil von Friedrich Hebbels Dramatisierung des Stoffes und verwebt immer wieder kurze Passagen dieses Textes mit eigenen, an Alltagssprache orientierten Dialogen.

Der Regisseur David Schnaegelberger nutzt diese Vorlage vor allem zum Entbinden von Spielfreude. Jörg Zysik hat die Spielerinnen und Spieler in skurrile Brustpanzer über leicht militarisierten Alltagsklamotten gesteckt. Vor einer Bretterbühne, auf deren oberem Teil groß „Willkommen“ steht, sehen wir eine Halde voll Autoreifen, Plastikfolie, Blechwannen und langen Holzstangen, den Spielmaterialien. Mit ihnen entstehen originelle, stimmige Bilder, sei es im Drachenkampf, beim Duell zwischen Gunther und Brunhild oder im Gebrauch des Tarnhelms.

Spiel mit Geschlechterbildern

Im Spiel konzentriert sich die Inszenierung, neben der klaren Vermittlung der Handlung, auf den Umgang mit Geschlechterbildern. Die Männer haben das übliche, furchtbare Bild der Frau als Objekt verinnerlicht. Der bloß loyale, tatkräftige Hagen (Markus Penne) erscheint da schon fast sympathisch, verglichen mit dem dumpf bramarbasierenden Siegfried, dem stumpf egomanischen Gunther (Matthias Guggenberger) und dem grinsenden Mitläufer Volker. Jan Exner ist auch für das Sounddesign zuständig, ein eindeutiger Pluspunkt mit seinen Loops und lustvollen Wagnerverfremdungen. Norhild Reinicke (Kriemhild) und Christiane Wilke (Brunhild) jonglieren im Gegenzug leichthändig mit Männerklischees und verweigern so jeden Opferstatus. Da die – unmikrofoniert gespielte – Aufführung zudem hervorragend gesprochen wird, so dass die Sprachebenen unbemüht ineinander gleiten, geraten die 90 Minuten über weite Strecken anregend und unterhaltsam.

Dramaturgische Unschärfen

Warum aber wird der entscheidende, Hebbels Trilogie tragenden Antagonismus aufgelöst, wird Kriemhild hier der Partei der Siegfried-Gegner (und -Mörder) zugeschlagen? Der Regisseur lässt hier für eine Motivation die Texte von Mathias Spaan und Friedrich Hebbel links liegen und zitiert das neuhochdeutsch verballhornte Nibelungenlied, in dem Kriemhild nach dem Geschehen um den bekannten, verhängnisvollen Gürtel von Siegfried geschlagen wird. Man glaubt es aber nicht. Zumal Kriemhild dann einfach so auf den Hort verzichtet, um Platz zu machen für einen matten Schluss: Vermarktung als Mittel zur Verdeckung eigener Schuld. Da werden als Beispiel etwa die Wormser Nibelungenfestspiele herbeizitiert, die ja mit der Figur Siegfried explizit eher wenig zu tun haben. In wenigen Minuten folgen etliche weitere Unschärfen. Der Text von Mathias Spaan endet eigentlich mit einer Kurzversion der bekannten Geschichte um „Kriemhilds Rache“. Die Spielfreude der Aufführung bleibt im Gedächtnis.