Foto: Szene aus "Das Fleischwerk" in Nürnberg © Marion Bührle
Text:Dieter Stoll, am 25. Oktober 2015
Alles so schön weiß hier, alles schnell abwaschbar: Willkommen in der Großschlachterei, wo die Blutspur zur Arbeitsplatzbeschreibung gehört und deshalb vom Bodenbelag über die Wände bis zur Bekleidung alles aus Plastik ist. Die Illusion von „Wisch und weg“-Sauberkeit braucht Kulisse. Hier wird gemetzelt, nicht nur an den Schweinen, auch an der Humanität. Mittendrin im Gerangel um den Anschluss ans Schnäppchenjagdrevier, wo der Konsument schon auf die Sieger-Beute im Preiskampf wartet, suchen die „Wanderarbeiter“ aus Osteuropa ihre Minimal-Chance zum Überleben. Christoph Nußbaumeder hat für sein Stück „Das Fleischwerk“, vor sieben Wochen in Bochum uraufgeführt und jetzt am Nürnberger Schauspielhaus in der Inszenierung von Markus Heinzelmann auf großer Bühne erneut zur Debatte gestellt, die denkbar heftigste Metapher zum Spielfeld gemacht. In der ersten Szene zerlegt einer der bulgarischen Arbeiter denn auch gleich eine Sau in Originalgröße, dass es spritzt und die Innereien nur so in die Szene purzeln. Ein trauriger Mann, einst vegetarischer Fernfahrer und nun Schweine-Chauffeur („Ware mit Seele“, sagt der Vorarbeiter), kommt dazu und spuckt eigenes Blut. So drastisch so gut, aber was dann?
Bühnenbildner Gregor Wickert lässt erst viel später (und auch da überflüssigerweise) einen Container aus dem Himmel in die weite Leere herabfahren, denn zunächst bleibt es beim Einheitsraum. Ob offene Straße oder Wohnung simuliert wird, der übermächtige Schlachthof steht allzeit bereit zur Hintergrund-Bedrohung. Die auftretenden Personen sind Gefangene im kriminellen „Schweinesystem“, das ist schnell klar, aber der dabei entstehende Kampf der Schauspieler um ein klein wenig Charakterstärke jenseits der abrufbaren Klischees hat auch seine tragischen Momente. Das liegt schon an der Vorlage, denn Christoph Nußbaumeder mag sich nicht für ein Thema entscheiden, wo es doch so viele gibt. Also geht es von der Massentierhaltung über die Wanderarbeiter-Ausbeutung und den verweigerten Mindestlohn bis zum Krebstod nach allen Seiten wuchernd am Schicksalsschlagwerk entlang. In einer Sprache, die noch dem größten Schuft (Stefan Willi Wang spielt den brutalen Subunternehmer „mit iranischen Wurzeln“ vom ersten Ausfallschritt an wie einen Zuhälter aus dem B-Movie) verblüffende Merksätze zuteilt: „Der Mensch ist zu allem fähig, der Krebs nicht!“ Wer noch zweifelt, bekommt Nachschub: „Jedem kann alles passieren, wenn man auf die Falschen trifft“. Der Autor verteilt solche Weisheiten mit der Gießkanne auf Gut und Böse. Und womöglich gehört er mit diesem Stück zu denen, die man nicht treffen sollte.
Regisseur Markus Heinzelmann steht wie gelähmt vor diesem umschnörkelten Konflikt-Angebot aus bewegten Standbildern. Er lässt sich nicht auf Nußbaumeders angebliche Horvàth-Nähe ein, verweigert also das verschärfende Fixieren von Wort und Tat, verbannt jegliche Tiefenbohrung im Künstlichkeits-Koma, bevorzugt den steifhüftigen TV-Realismus. Man steht da und redet, gelegentlich wie auf Kommando von krähenden Temperamentsausbrüchen durchgeschüttelt, aneinander hin. Für Irritation, zumindest Verwirrung soll die Aufhebung der Chronologie, die willkürliche Rückblende beim Plot-Abspulen sorgen. Dazu flimmern Bilder aus Wirtschaftswunderjahren im Hintergrund, der junge Wanderarbeiter (mit viel Emphase: Philipp Weigand) sendet Sehnsuchts-Monologe in die Heimat und schwenkt die Revoluzzerfahne gegen mafiöse Zustände, aber mehr als die eigene Recherche in der westfälischen Großschlachterei interessiert den Autor eben doch die Depression des krebskranken „Viehfahrers“. Stefan Lorch spielt ihn mit geschützter Melancholie, in der Naivität momentweise anrührend, jedoch meilenweit entfernt vom Skandal-Thema, das im Titel „Das Fleischwerk“ angekündigt ist. Das geht schlichtweg verloren im Gewimmel nachlässig angetippter Dramen und wird zur weiteren Behandlung ans Programmheft verwiesen. Wo es übrigens ganz gut aufgehoben ist. Am meisten gibt es dem Zuschauer zu denken, wenn auf der Bühne über den Köpfen der Arbeiter aus Rumänien und Bulgarien auf dem wechselnden Spruchband in Großbuchstaben mehrfach das Wort „SESSHAFT“ erscheint. Was da nicht alles an Assoziationen drinsteckt. Szenisch war kaum etwas davon zu sehen.
Christoph Nußbaumeder, zur Premiere angereist, muss wohl zufrieden gewesen sein mit der Aufführung. Er verbeugte sich inmitten des unterforderten Ensembles und bekam, naja, barmherzigen Beifall.