Foto: Theater vor Text?. Szene aus der Uraufführung "A Wintery Spring" mit (v.l.) Deanna Pauletto und Alison King. © Monika Rittershaus
Text:Andreas Falentin, am 23. Februar 2018
Die Fraffurter Oper wagt eine Uraufführung zum arabischen Frühling und kombiniert diese mit der szenischen Erstaufführung einer Barockkantate. Die Auswahl ist sinnfällig, beide Kompositionen sind hochattraktiv, aber nicht alle Potenziale werden genutzt.
Ein „Dramatisches Lamento“ nennt der 1972 geborene Saed Haddad seine 45minütige Komposition auf Texte des libanesischen, 1931 im Exil verstorbenen Dichters und Malers Khalil Gibran. Haddad, selbst aus Jordanien gebürtig, aber längst deutscher Staatsbürger und auch künstlerisch, nach eigener Aussage, westlich sozialisiert, sucht mit diesen teils resignativen, teils analytischen, teils aufrüttelnden Textfragmenten nach einer eigenen Haltung, einer eigenen Verbindung zum Arabischen Frühling. Er lässt drei Sänger auftreten – Sopran, Alt, Bass-Bariton. Der Mann ist hier Dichter, Künstler an sich, erst in archaisch fremdem Gewand und Haartracht, dann in Rollkragenpullover vor dem Laptop. Dazu eine junge Frau – Alison King mit klarem Sopran – wie eine Marienfantasie, zum Ende hin mit Baby auftauchend. Die Altistin (mit großem, profundem Ton: Deanna Pauletto) schließlich entwickelt sich von Ratlosigkeit zum Handlungswillen, breitet Tücher mit arabischen Schriftzeichen aus, hüllt sich in eines, auf dem deutlich „Fight“ zu lesen ist.
Die Inszenierung von Corinna Tetzel im Bockenheimer Depot ist um behutsame Zeichenhaftigkeit bemüht und das oft erfolgreich. Es wird allerdings ein wenig zu viel gemessen geschritten. Das mag daran liegen, dass Haddad seinen Figuren seine Trauer, sein Ringen um Haltung eingeschrieben hat – und seine Wut vor allem ans Ensemble Modern delegiert, das „A Wintery Spring“ mit der Oper Frankfurt zusammen in Auftrag gegeben hat. Gezackt ist diese Musik, voll kleiner Widerhaken und Zuspitzungen, voll seltsam nackter, bewusst wirkungslos schreiender Klangfarben.
Dazu läuft von Anfang an, Weiß auf Schwarz, auf einer Leinwand der Text mit, tiefer, poetischer, schwer entschlüsselbarer Text. So muss der Zuschauer sich geradezu zwingen, die Musik zu hören, das Bühnengeschehen wahrzunehmen und nicht im Lesen zu erstarren. Die, sichtbar auf einem Stahlgitter gelagerte, künstliche, mit den Spielmaterialien Wasser und Sand geschickt authentifizierte Bühne von Stephanie Rauch und die geschmackvoll mit Klischees spielenden Kostüme von Wojziech Dziedzic setzen wie die Inszenierung eher behutsame Reize und geraten erst in den Mittelpunkt, wenn statt der vielen Worte dokumentarisches Filmmaterial zum Thema auf der Leinwand zu sehen ist. Dann finden szenische Interaktion und medialer Austausch statt, wird diese von Franck Ollu großartig einstudierte Musik geradezu brennend erfahrbar.
Da Saed Haddad durchaus für die Kürze seiner Kompositionen bekannt ist, war von Anfang an klar, dass es ein Gegenstück zu finden galt. Diese Aufgabe hat das Produktionsteam so intelligent wie abseitig gemeistert. Jan Dismas Zelenkas ursprünglich für die Karwoche gedachte Kantate „Il Serpente die Bronzo“, 1730 in Dresden ur-, hier tatsächlich szenisch erstaufgeführt, thematisiert die Schlangenplage während des Auszugs aus Ägypten. Wie in Haddads „A Wintery Spring“ geht es um verzweifelte Verhältnisse, um ein sich nicht Durchringen können zur Handlung, um ein in Frage stellen von Führung und Führungspersönlichkeiten, das letztlich in ein sich Bescheiden mündet. Das Ensemble Modern überrascht bei seinem Barockdebut mit feinen, flüssig ausagierten Temporelationen und klarer, nicht zu kräftiger Dynamik bei etwas pauschalem Klangfarbenspektrum. Gesungen wird auch hier vorzüglich, besonders von dem großartigen Countertenor Dmitry Egorov und Michael Porter, der nicht nur mit seinem nur kurz geforderten sanft glitzernden Tenor, sondern auch mit seiner Bühnenpräsenz als Moses das Stück trägt. Judita Nagyová und Cecelia Hall ergänzen auf sehr hohem Niveau. Und Brandon Cedel reißt als Gott mit seinem wunderbar geführten, klangschönen Bassbariton genauso mit wie im ersten Teil als Künstler an sich.
Leider bleibt die Inszenierung hier hinter der Musik zurück, Corinna Tetzel gelingen wenige prägnante Bilder, dazwischen ereignet sich aber zu viel spannungsloser Leerlauf, der gelegentlich mit ärgerlichen Klischeebildern – Dmitry Egorov muss einen Golfschläger traktieren, um zu zeigen wie dekadent und unreflektiert seine Figur ist – durchsetzt ist. Auch die Raumgestaltung vermag hier keine wesentlichen Akzente zu setzen, bleibt unverbindlich wie die Kostüme. Der als müder Schatten einer Monumentalfilmfigur ausstaffierte Moses ist sogar ein weiteres kleines Ärgernis. Wie auch die Tatsache, dass der aus Solisten des Hauses zusammengestellte, wunderbar singende kleine Chor offenbar vom Band zugespielt wird, was dem akustischen Gleichgewicht durchaus schadet.
Dennoch vermag der ungewöhnliche und mutige Abend als Ganzes zu überzeugen. Er macht vor allem Lust darauf, eine Kombination wie diese einmal von einem kraftvoll zupackenden Regieteam zu erleben.