Foto: Ensemble des Theaters Aalen in "Automaten-Büfett" © Peter Schlipf
Text:Manfred Jahnke, am 15. Januar 2023
Anna Gmeyner (1902-1991) teilt ihr Schicksal mit vielen Menschen, die am Ende der Weimarer Republik mit dem Schreiben begannen: Obwohl erfolgreich wurde sie nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes vergessen. Dass ihre Schriften unter Hitler verboten wurden, ist nicht verwunderlich: Sie war Dramaturgin bei Erwin Piscator, dem großen Regisseur des „politischen Theaters“. Ihre Stücke, die sich mit Streiks beschäftigten oder sich wie im „Automatenbüfett“ satirisch mit der sogenannten „neuen Zeit“ auseinandersetzen, waren den Nazis wenig genehm. Dass ihre Texte von Hanns Eisler für den großen Arbeitersänger Ernst Busch vertont wurden, setzte allem die Krone auf. Das Vergessen nach 1945 verwundert nicht, weil die Traditionslinie, in der Gmeyner stand, verdrängt wurde. Dass sie seit 2020 mit der Wiederentdeckung am Burgtheater Wien durch Barbara Frey endlich auch als Theaterautorin wieder gespielt wird (die Prosatexte der bis zu ihrem Tode in England lebenden Autorin waren bereits in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts ins Deutsche übersetzt worden) war längst überfällig.
Was aber ist, wenn man „Automatenbüfett“ aus seinem historischen Kontext löst? Erweist sich das Stück als „historisch erledigt“? Die junge Autorin und Regisseurin Anne Habermehl geht in ihrer Inszenierung am Theater Aalen klug vor: Sie konzentriert die Handlung hin auf die Beziehungen zwischen den Figuren und den dahinter stehenden Interessen. So lässt sich das (spieß-)bürgerliche Personal in einer Figur, der des Oberförsters, zusammenführen. Hilfreich ist dabei das dramaturgische Schema der von außen kommenden Figur, vor der sich der Zustand einer Gesellschaft enthüllt. Bei Gmeyner ist es Eva, die keinen anderen Ausweg weiß, als ins Wasser zu gehen, nachdem sie sich von ihrem Liebhaber, den Schriftsteller Boxer, getrennt hat. An diesem aber sitzt Leopold Adam, um zu angeln – und sie zu retten.
Eva hat eine magische erotische Ausstrahlung: sie unterstützt nach Kräften die ökonomischen Utopien von Leopold, der davon träumt, mit einem Verbund von Fischteichen ganz Deutschland mit Karpfen zu versorgen. Zunächst scheint der Plan glänzend zu gelingen. Alle Honoratioren der Stadt – zumal nach den Besuchen von Eva – scheinen aufzuspringen, bis sich dann herausstellt, dass ohne Geld alle Träume platzen. Aber – und das arbeitet Habermehl heraus – der Fehlschlag liegt nicht allein am fehlenden Geld, sondern ein anderer Hausgenosse, der junge zackige Pankraz, der Eva nachstellt, hat seine Hände im Spiel. Sie aber weist ihn zurück und er rächt sich: nicht nur, dass er den Literaten Boxer in die Stadt holt, sondern er stachelt auch die Ehegattinnen der Honoratioren an. Mehr noch gelingt es ihm, Frau Adam so weit zu bringen, dass sie sich von ihrem Mann scheiden lassen und mit ihm ins Bett gehen will.
Sinnentleertes Aufstiegsbegehren
Unschwer zu erkennen, dass in dem parasitären Benehmen des jungen Mannes Pankraz in dunklem Lederimitat (Kostüme: Jonas Vogt) sich jener Typus eines egomanischen Menschen verbirgt, der rücksichtslos seine Vorteile nutzt. Manuel Flach spielt ihn als aalglatten, fies lächelnden Menschen, der gnadenlos über Leichen gehen wird. Dabei führt Habermehl nicht nur vor, wie Aufstiegsprozesse in einer sinnentleerten, nur nach Geld gierenden Gesellschaft funktionieren, sondern auch das Marode der Gesellschaft selbst. Diese vertritt Bernd Tauber als Oberförster: Er gibt diesem die Züge eines jovialen Biedermanns mit Erscheinungen leichter Demenz, der blitzschnell knallhart werden kann. Noch deutlicher führt Margarete Lamprecht als Frau Adam ihre geizige Gier vor, sich dabei im Augenblick vom einem sexuell vernachlässigten, altjüngferlichen Wesen in eine Frau von strotzender Kraft verwandelnd. Dazu spielt sie ziemlich schräg auf dem Akkordeon den Italian Song „Felicitas“ (Musik: Philipp Weber).
Arwid Klaws spielt den Leopold Adam als etwas spinnerten Herrn, der in der Gegenwart der Eva seine innovativen Kräfte wiederfindet. Seine Pläne malt er mit Kreide auf dem Bühnenboden, um so leichter kann Frau Adam diese wieder auswischen und das Leben mit ihm ungeschehen machen. Klaws hat etwas Kraftloses in seinem Spiel, auch etwas Resigniertes. So macht er sichtbar, dass die neu angestachelte Leidenschaft nur ein Strohfeuer ist. Kein Wunder, dass am Ende auch Herr Adam ins Wasser gehen will – und von Eva gerettet wird: Da haben sich zwei von der Gesellschaft vertriebene Menschen gefunden. Julia Sylvester spielt diese Eva als junge, selbstbewusste Frau, die um die Wirkung ihrer Blicke weiß. Sie muss nicht ihren Körper einsetzen, sondern allein ihr Lächeln wirkt schon anziehend. Das macht die Sylvester überzeugend.
In Aalen ist die Handlung nicht in einem Automatenrestaurant lokalisiert, sondern am Fischteich, mit einem langen mehrstufigen Steg, der am Ende in einem kleinen runden Becken mit Wasser endet (Bühnenbild: Jonas Vogt). Auf dem Hauptplafond steht eine kleine Fischerhütte, die zum Hauptspielort wird. Habermehl nutzt diesen besonders, um das gegenseitige Belauern der Figuren zu zeigen, auch die materielle Gier, die diese Figuren herumtreibt, im Gegensatz zu einer – konstruierten – Naturidylle zu machen. Habermehl gelingt es, in ihrer Analyse aufzuzeigen, dass sich diese Gesellschaft in ihren Strukturen nicht wesentlich verändert hat, „Automatenbüfett“ von Anna Gmeyner keineswegs historisch erledigt ist. Dabei lässt sich die Regie auf eine feinnervige Figurenanalyse ein – allerdings ein wenig auf Kosten des Spieltempos, das zu erhöhen vielleicht keine falsche Entscheidung gewesen wäre.