Foto: Akikas ausgelassenes Tanztheater in Bremen. © Jörg Landsberg
Text:Jens Fischer, am 7. Dezember 2012
„Fakirtime“ prangt auf dem Pappschild, das einem beturbanten Tänzer am Hals baumelt. „Fakir“ ist durchgestrichen, „Party“ steht darunter. Das ist das Lebensgefühl, der ästhetische Ansatz und das choreografische Ereignis der Arbeiten des neuen Bremer Tanztheaterchefs Samir Akika. Schluss mit selbstquälerischem Herumsitzen auf schmerzhaft vernagelten Realitätsebenen. Vorhang auf und mit ausgelassener Coolness eine Gegenwelt initiieren. It’s partytime! „Funny, how?“ heißt Akikas erste Bremer Produktion – und beginnt mit Peer Gynts Zwiebelnummer. Ein Clown pellt viele Hüllen, findet keinen Kern, guckt traurig und lässt eine Träne über die Wange kullern. Die Frage „funny, why?“, warum der ganze Spaß, ist also beantwortet: Es gibt halt nichts anderes, nichts Elementares. Die Frage „funny, how?“, also Bedingungen des Spaßhabens, wird nun zwei pausenlose Stunden lang vorgeführt. Abseits allen Nützlichkeitsdenkens und verkopften Kunstwillens. Und unbelastet von klassischen Spaßverderberthesen, Stichwort Adorno, für den Amüsement nur „die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus“ war.
Samir Akika lädt zu einer Reise in die Nacht mit einer bewegungslustigen Clique. Die Bühne sieht aus wie eine Disco um 22 Uhr: Musik läuft schon, Platz ist noch reichlich. Rundlauf spielen die Anwesenden, tanzen ihren Spaß am Toben. Auch als Suchbewegungen, irgendetwas gemeinsam hinzubekommen – und sei es, dass aus gierigen Blicken zärtliches Anfassen und schließlich geiles Anspringen wird. Jeder aus dem neunköpfigen Ensemble zeigt seine tänzerischen Bezugspunkte: Hip-Hop, Break-, Street- oder Modern Dance, Capoeira, Rock ‚n’ Roll, Ententanz, Gymnastik … und wenn einige Tänzer mal zusammen eine Bewegungsfolge darbieten, dann immer lässig asynchron. Als wären sie noch am Proben. Das Konzept dahinter: nicht zu Körperbildern des Corps de ballet verschmelzen, sondern als Tanzindividuum präsent sein zu wollen. Was für einige Ballettfreunde eben schlampig inszeniert wirkt, dahingepfuscht. Gerade in Bremen, wo zuletzt der Ästhetizismus von Susanne Linke, Urs Dietrich und zuletzt die Wiederbelebung von Reinhild Hoffmanns „Callas“ gefeiert wurden. Weswegen Akikas Team nicht nur mit offenen Armen empfangen, bei der „funny“ Uraufführung jetzt auch mit Buhrufen bedacht wurde; diverse Besucher verließen ohne Klatschgeste das Theater. Andere reagierten eher euphorisisert, ließen sich anstecken von der Spielfreude, dem Spaßhaben, der Lebenslust.
Wenn Akikas Compagnie gesellschaftlich akzeptierte Spaßformate zitiert, ist das ein durchaus ambivalentes Spiel mit Affirmation und Ablehnung, Verführbarkeit und Verweigerung. Wie geht funny? Mit Stand-up-Comedy, Popmusik, Zauber- und Hypnoseshow, Zirkus- und Ballettakrobatik, Nachäffen von Kollegen. Und natürlich gibt es so Kindergartensachen wie Räkeln im Bällebad, Verkleidungsulk und Popcornwerfen aufs Publikum. Sehr komisch die szenischen Versuche, Theorien zur Funktionsweise der Komik zu illustrieren: Slapstickübungen mit einer Sexpuppe, schadenfreudiges Matschen von Sahne in Menschengesichter, stummfilmkomisches Befördern von Mitspielern aus der Senk- in die Waagerechte. Und einfach mal tölpellustig vorführen, wie aus einem Missgeschick per Dominoeffekt das komplette Chaos auf der Bühne entstehen kann. Diverse Handlungsfäden lässt Samir Akika so ziellos losflattern. Kein großer dramaturgischer Bogen, keine stringent entwickelte Szenenfolge halten die Performance zusammen, nur der Spaß am und mit dem Spaß. Schrill, bunt, laut, lustig wird vieles ausprobiert, vor allem die sich erstmals der Compagnie bietenden Möglichkeiten des Stadttheaters – was Ausstattung und Bühnentechnik betrifft. Mit einem „Go smile!“-Appell schickt das Ensemble das Publikum schließlich zurück in das „nicht so spektakuläre Leben“. Ausgelassenes Tanztheater als Party: Das haben Akikas Shows immer vermittelt, dort macht er in Bremen weiter, da bleibt er vorerst stehen.