Dabei hätte man das Unheil kommen sehen können. Das führt die Schweriner Inszenierung musikalisch wie szenisch sehr schön vor Augen. Dunkel dräuend klingt das Blech zu Beginn aus dem Orchestergraben. Andrea Sanguineti kitzelt bildstarke Klangfarben aus Verdis Partitur, nicht nur zu Beginn. Er treibt die Musik vorwärts, hat das Ensemble auf der Bühne immer im Blick. Im zweiten Akt gibt es einige geradezu berückend sphärische Momente, der dritte ist musikalisch vielleicht der schlüssigste: Hier ist die fabelhaft spielende Staatskapelle Schwerin im Flow und treibt das dramatische Bühnengeschehen musikalisch noch weiter auf die Spitze. Nur an sehr wenigen Stellen müsste da im Hinblick auf Präzision oder Klangqualität noch geringfügig nachjustiert werden.
Das Sängerensemble ist ausgezeichnet bis solide besetzt. In jeder Hinsicht herausragend sind die beiden männlichen Protagonisten: Matheus Pompeu als Herzog von Mantua und Yoontaek Rhim als Rigoletto. Pompeu verleiht seiner Partie tenorale Strahlkraft und vokalen Glanz, ohne je forcieren zu müssen. Gleichzeitig verkörpert er die ebenso machtbewussten wie vergnügungssüchtigen Facetten der Persönlichkeit des Herzogs mit adäquater, auch schauspielerischer Schmierigkeit. Übertroffen wird das nur von Yoontaek Rhim als Rigoletto, der seiner Figur eine beeindruckende Präsenz verleiht und auch stimmlich mit seinem voluminösen und facettenreichen, zahlreiche Nuancen zwischen blinder Rache und bedingungsloser Vaterliebe ausdrückenden Bariton zu überzeugen weiß. Nicht nur das abschließende „Ah, la maledizione“ hat Gänsehaut-Qualitäten.
Anna Rabe als dessen Tochter Gilda bleibt oft unter ihren stimmlichen Möglichkeiten. Dass sie selbige hat, merkt man vor allem im dritten Akt, als sie regelrecht aufblüht. Doch oft dominiert ihr Vibrato den Ton, wird die Stimme in höheren Lagen etwas dünn und fragil. Ausgezeichnet besetzt sind in Schwerin auch einige Nebenrollen: Cornelius Lewenberg gibt den ruchlosen Kavalier Marullo mit geschmeidigem Bariton, Artem Kuscnetsow den Mörder Sparafucile mit abgrundtiefem Bass und beängstigender Präsenz, genau wie Itziar Lesaka seine opportune Schwester Maddalena. Solide bleiben am Premierenabend Sebastian Kroggel als Graf von Monterone, Igor Storozhenko als Graf von Ceprano und Kaori Okita als Gräfin. Opernchor und Extra-Chor des Mecklenburgischen Staatstheaters spielen und singen ihre Partie bis auf wenige Ausnahmen tadellos und temporeich.
Die insgesamt stimmige Inszenierung von Alexandra Liedtke ist zum einen sehr abstrakt, wenn es um konkrete Details des Librettos geht, entfaltet zum anderen aber gerade im ersten Akt ein wahres Panoptikum der Zügellosigkeiten. Die orgiastischen Szenen am Hofe des Herzogs sind angedeutet drastisch, verfehlen ihre Wirkung jedoch nicht. Dessen ungeachtet zeigt Liedtke auch im zweiten Akt, als sich der Herzog mit Gilda im einsehbaren Separee vergnügt, während ihr Vater vorne Sparafucile als Mörder des Herzogs engagiert: Es muss nicht immer explizit sein, um auf den Punkt zu kommen. Das reduzierte Bühnenbild von Malte Lübben arbeitet mit zwei im rechten Winkel aufgestellten Drehpaneelen, die auf der einen Seite verspiegelt, auf der anderen Seite mit einem dunklen Stoff bespannt sind. Hiermit werden Räume erzeugt, Stimmungen verdichtet und Atmosphären angedeutet. Etwa im dritten Akt, wenn eine dunkle Wand ebenso massiv wie bedrohlich wie eine Speerspitze auf das dramatische Geschehen zeigt. Das Konzept gelingt in vielfältiger und eindrucksvoller Weise. Insgesamt gibt es im Mecklenburgischen Staatstheater einen ebenso spannenden, sehens- wie hörenswerten „Rigoletto“.