Foto: Barbara Dobrzanska (Julia) und Andrea Shin ( Licinius) © Jürgen Frahm
Text:Frieder Reininghaus, am 29. Januar 2013
Spontini? Man erinnert sich womöglich daran, dass dieser italienische Komponist in Paris und Berlin zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit seinem Perfektionsdrang bei manchen Mitwirkenden und Experten ambivalente Reaktionen auf den Plan rief, beim Publikum aber Furore machte. Wie sein Nachfolger Meyerbeer, der Berliner in Italien und Paris, der ihn überflügelte und verdrängte, erhält auch Gaspare Spontini (1774–1851) die Chance einer posthumen Karriere. Erst einmal in Karlsruhe – mit „La Vestale“, einem Historien-Stück aus dem napoleonischen Frankreich, in dem dröhnende und sehnende Revolutionsmusiken der 1790er Jahre nachhallen und die Märsche der Grande Armee. Die Badische Staatskapelle unter Johannes Willig hob mit Verve das „Sensationelle“ hervor, rief die großräumige Architektur wie die akkurat gearbeiteten Details der Musik überzeugend in Erinnerung.
Das Stück von 1805–07 basiert auf einer von J.J. Winckelmann überlieferten Episode und thematisiert die politisch-gesellschaftlich sanktionierte Liebe zwischen der altrömischen Vesta-Priesterin Julia und dem Feldherrn Licinius in der Zeit um 300 v. Chr.: Julia bricht zwar das ihr aufgezwungene Keuschheitsgelübde nicht, ist mit dem Herzen jedoch nicht bei der Sache des atavistischen Kults, sondern mit dem Kopf beim Geliebten. Der liebt, was er nicht begehren dürfte – eben jene Novizin, die beim autoritären Orden unter strengster Observation steht. Ausgerechnet sie soll dem General beim Triumphzug den Lorbeerkranz aufsetzen. Katharine Tier ist als abgründige Großvestalin eine Wucht. Stets mit einem Metallstab zur Durchsetzung der Ordnung bewehrt, führt sie mit diabolischer Lust die Strenge und Selbstgerechtigkeit vor.
Frank Philipp Schlössmanns Ausstattung verlängerte die Betonarchitektur des Badischen Staatstheaters auf die Bühne, auf der die Kostüme grellbunte Farbakzente setzten. Nur einige Embleme (wie ein riesiger Lorbeerkranz) und ein paar Ornamente spielten an auf den Antikenkult um 1800, einige fähnchenschwingende Massenszenen auf die 1989 untergegangenen Volksdemokratien Osteuropas. Die eigentlich dem Ballett gewidmete Episode wurde zur Pantomime umgewidmet: Aron Stiehl zeigte die Ordensoberin beim Rendezvous mit dem Pontifex Maximus und wie sie beide einem „erweiterten Keuschheitsbegriff“ huldigen. Das konterkariert den im Stück angelegten grundsätzlichen Konflikt auf fast zu simple Art, nimmt ihn in seiner historischen Bedeutung als Plädoyer gegen Priesterbetrug und Säkularismus nicht weiter ernst. Die elaborierte musikalische Substanz hätte eine auch in Hinsicht auf die Psychen der Akteure differenzierte, insgesamt kunstfertigere Inszenierung verdient – möglicherweise unter Einschuss von Ironie, die bekanntlich auf der Opernbühne so schwer zu realisieren ist. Die Hauptdarstellerin Barbara Dobrzanska bewältigte die enorme Sopran-Partie insgesamt gut. Der Oberpriester Konstantin Gorny profilierte sich als Gegenspieler mit distinguiertem Bass und zwei leistungsfährige Tenöre blieben bestens in Erinnerung: Andrea Shin (als Licinius) und Steven Ebel (als dessen nicht minder überzeugender Freund Cinna).