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Inzest zwischen Austria und East End

Mark-Anthony Turnage: Greek

Theater:Landestheater Salzburg, Premiere:26.05.2013Autor(in) der Vorlage:SophoklesRegie:Andreas GergenMusikalische Leitung:Leo Hussain

Meine Güte, welche Unmengen von Kalorien wurden da wohl verbrannt! Nicht nur Leo Hussain am Pult des Mozarteumorchesters, auch diverse Musiker dürften sich nach der „Greek“-Premiere wohl etwas leichter fühlen. Denn der kräftige Soundtrack verlangt erheblichen (Körper)Einsatz. Turnage schrieb eine von Alban Berg, Igor Strawinsky, dem frühen Hans Werner Henze und Broadwayschmonzetten beeinflusste Musik, die fast immer obergärig gurgelt und selten mal zur Ruhe kommt. Vor 25 Jahren wurde das Stück bei Henzes damals gerade neuer Münchener Biennale uraufgeführt, seitdem geistert es ab und an durch die Spielpläne vor allem kleinerer Häuser. Der 1960 geborene Brite Turnage veroperte ein Theaterstück von Steven Berkoff, das den Ödipus-Mythos ins Londoner East End der Thatcher-Ära verlegt. Aus dem antiken König wird der junge Eddy, dieser entflieht seinen tristen (Pflege)Eltern, tötet im Affekt einen Wirt und heiratet die frischgebackene Witwe. Selbige entpuppt sich als Eddys echte Mama.

Bis dahin funktioniert die Übertragung und Regisseur Andreas Gergen gelingen starke Bilder. Ein sehr beweglicher, nach vorne offener, an den Seiten verspiegelter Bühnenkasten (Ausstattung Stephan Prattes) zeigt die jeweiligen Spielorte, Eddys vermeintlicher Vater ist eine wunderbare Manfred-Deix-Karikatur im Fat-Suit, auch Eddys Mutter ist herrlich spießig. Man trägt die österreichischen Nationalfarben als Fankleidung (was am Tag nach dem Champions-League-Endspiel allerdings auch wie eine hübsche Bayern-München-Hommage wirkt). Kein Wunder, dass Eddy bald flieht. Dem Daddy ist der Verlust des Sohns ziemlich egal, er schüttelt ihm lakonisch die Hand, die Mutter vermittelt hingegen ihren echten Schmerz durch nervös absteigende Kantilenen.

Eddy trifft nun auf jede Menge Gewalt und Tristesse, eine tumbe Menschenmasse protestiert gegen Ausländer, doch dann taucht eben jenes schicksalhafte Café auf mit dem grimmigen Chef und seiner hübschen Frau. Wegen einer Kleinigkeit kommt es zum Streit zwischen den Männern, der Ältere zieht den Kürzeren. Einige Zeit ist das eigenwillige Paar glücklich, bis sich eine merkwürdige „Plage“ breit macht (gemeint ist wohl Arbeitslosigkeit, Egoismus etc.). Um sie zu beenden, stellt sich Eddy der Sphinx – hier sind es gleich drei Rätselfrauen – und muss die berühmte Frage nach dem Wesen beantworten, das morgens vierbeinig, mittags zweibeinig und abends dreibeinig ist. Er kommt drauf: natürlich der Mensch! Als Kind krabbelt er, dann geht er aufrecht und hernach braucht er einen Stock – falsch! Das dritte Bein ist seine erigierte Männlichkeit… Bei so viel Mutterwitz muss natürlich auch die stärkste Sphinx weichen, doch statt spaßigem Finale fliegt der ganze Inzestfall auf und Eddy schreit der Welt (ergo uns) seinen ganzen Frust und seine ganze Lust entgegen. Zurück zu Mama will er – im doppelten Sinne. Vorhang.

Ein krudes Ende für ein temperamentvolles, aber nicht immer gut temperiertes Stück. Denn so glutvoll manches im Orchester klingt (außerdem hört man schöne Harfentöne), so wenig ambitioniert sind die Gesangslinien. Oft gibt es eine Mischung aus Sprechen und Singen, Ensembles bleiben eher konventionell, Arioses verpackt Turnage in Zuckerwatte. Das Mozarteumorchester und der Chor des Landestheaters werfen sich mit Verve in die Sache, Stephen Bronk und Erin Snell überzeugen als Kuckuckseltern, Frances Pappas brilliert als Mutter und Ehefrau. Die Sänger müssen auch noch mehrere kleinere Partien stemmen. John Chest stattet Eddy mit leichtem, angenehmem Timbre aus. Er läuft gern in schwarzer Unterwäsche herum, als Gegenpart irrt häufig eine Nacktstatistin über die Bühne – beides wirkt verzichtbar. Auch dass „Greek“ unbedingt auf Deutsch gesungen werden muss, erweist sich als vehementer Nachteil. Mal versteht man rein gar nichts (Übertitel fehlen), dann enerviert einen die zwischen hohem und hohlem Ton schwankende Sprache. Pathos trifft Gosse.