Die Produktion entstand in Kooperation mit der hauseigenen Akademie für Theater und Digitalität und im Rahmen des Programms PlayOn! und nähert sich mit dieser – gerade für Musiktheater – immens aufwendigen Branching Storyline als Erzählform an das Gameplay in Computerspielen an. Trotz Aufzeichnung wird damit selbst jede Online-Aufführung zum einmaligen Ereignis und das Publikum zum Mitautor, auch wenn die Interaktion in eng geführten Bahnen verläuft. Für die unterschiedlichen Wege wurde viel Material produziert – mehr komponiert, mehr geschrieben, mehr inszeniert, als zu sehen und hören ist.
Franziska vom Heede hat ein Libretto aus Chatsprache und raffinierten sprachlichen Bildern entworfen. „Persona“ ist mehr Situationsbeschreibung denn Handlung. Die Jugendlichen springen von einem Thema zum nächsten – von der klimabedrohlichen Wasserverschwendung zum platten Genörgel über den Social-Media-Feed der Freundin. Wie tiefgreifend das Interesse der Teens für gesellschaftspolitische Themen wirklich ist, erscheint fragwürdig.
Thierry Tidrow, der sich dem Opernstoff als Composer in Residence am Theater Dortmund annimmt, vollzieht das Alltagsdrama der Teenager in den Gesangslinien nach: Schlagartig und zugleich nuanciert gehen sie, ihrer Stimmung gemäß, von einem Sprech- in einen Sington über. Ruth Katharina Peeck, Marcelo de Souza Felix und vor allem Anna Lucia Struck, die die drei Jugendlichen verkörpern, lassen sich flexibel und agil darauf ein. Vier Streicher und der Synthesizer grundieren das Geschehen, brechen temporär in geräuschhafte und expressive Passagen aus, agieren mal narrativ-gestisch, wenn sie einen knurrenden Magen oder schleifend das Vorbeifahren eines Busses imitieren. Kleine Arien und Ensembles im zweiten Teil sorgen für kontemplative Momente. Oft lässt Tidrow Streicher und Synthesizer unstet in Glissandi umherwabern und greift damit die Monotonie des Alltags der Jugendlichen auf. Denn trotz Chatten, Posten, Live-Sein ergeben sich kein rechter Drive, keine dramaturgischen Spitzen – weder im Leben der Jugendlichen, noch im Stück oder szenisch. Die Regisseurin Zsófia Geréb lässt die Teenager gleichzeitig in den drei Boxen, aber getrennt voneinander agieren. Alle sind mit ihren Problemen allein, trotz Online-Community.
Die ab 12 Jahren empfohlene, aber von Erwachsenen konzipierte Jugendoper wird nie belehrend, bleibt aber doch recht abbildend, erwartbar. Etwas überraschend Neues über die Debatte zum Einfluss sozialer Medien auf Jugendliche erzählt sie eher nicht.
Womöglich entfaltet sich live und ‚in persona‘ eine andere Energie und Wirkung. Das Projekt wurde vor dem Corona-Lockdown initiiert und ist als Live-Aufführung konzipiert, die im September 2021 in Dortmund zu sehen sein soll. Dann müssen Sängerinnen, Sänger und Orchester rasch auf die Publikumsentscheidungen reagieren. Für die coronabedingte Online-Premiere wurde die Oper aufgezeichnet und durch den Medienkünstler Alexander Hügel aufwendig aufbereitet. Der digitale Rahmen der Uraufführung tut dem Projekt jedoch gut. Die Digitalitätsschraube dreht sich einmal weiter, da Inhalt und Form aneinanderrücken, auch wenn szenisch und ästhetisch im Vergleich wenig an der Trennwand zwischen analog und digital gerüttelt wird.