"Ein Grab in den Lüften"

Intensive Verdichtung

Jake Heggie, Julian van Daal & Sarah Grahneis: For a Look or a Touch/Ilse/Another Sunrise

Theater:Staatstheater Braunschweig, Premiere:02.05.2015 (UA)Regie:Natalie Schramm, Julian van Daal, Christina SievertMusikalische Leitung:Johanna Motter

Den eigenen Tod, den stirbt man nur, mit dem Tod der andern muss man leben, dichtete Mascha Kaleko. Der dreiteilige Musiktheaterabend „Ein Grab in den Lüften“ befasst sich mit Erinnerungen derer, die trotz drastischer Erlebnisse einen Weg zum Weiterleben finden mussten.

Die zwei eindringlichen Porträts zweier jüdischer Holocaust-Überlebender des amerikanischen Komponisten Jake Heggie werden dabei ergänzt um die Aussagen einer Täterin, der Lagerkommandanten-Frau Ilse Koch, der „Hexe von Buchenwald“. Und gerade dieser Perspektivwechsel gibt dem Abend Spannung. Auch in dem ästhetischen Kontrast dieses Textes zur Oper: Sarah Grahneis und Julian van Daal haben eine Art Revue geschaffen, darin wechseln die Verhördialoge der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagten Ilse mit Schlagern der Zeit. In diese vorgespiegelte Fröhlichkeit mag sich auch Ilse Koch immer wieder gerettet haben auf der Flucht vor dem Lager-Alltag, den sie nicht zu kennen vorgibt. Auf der Flucht womöglich auch vor der Bestie in sich selbst, deren sadistische Taten sie nicht mal sich selbst eingestehen kann und daher leugnet.

Birte Leest spielt diese Täterin, schwankend zwischen Verstocktheit, Unbekümmertheit, auch Koketterie höchst intensiv. Wie sie da behauptet, ein kleines Mädchen zu sein, zeigt die völlige Realitätsverdrängung, aber auch eine Sehnsucht nach Unschuld, die dann wieder in kühle Dreistigkeit umschlägt. Van Daal hat das unter baumelnden Verhörlampen so klar wie wirksam inszeniert. Raphael Traub und Sebastian Matschoß überzeugen in wechselnden Rollen als Spielpartner.

Hält das Schauspiel die Zuschauer auf kritische Distanz, so nehmen Jake Heggies rahmende Kurzopern durch die melodiöse, weich fließende für ihre Hauptfiguren ein. Da klagt die Klarinette, streichen Geige oder Cello ihre Sehnsucht aus, manchmal steigert sich die Bewegung nach Minimal-Music-Art. Johanna Motter gibt vom Klavier aus sicher die Einsätze und Tempi.

In „For a Look or a Touch“ erinnert sich der alte Gad an seine Jugendliebe Manfred, der im KZ umkam. Eine lange verdrängte Erinnerung, die er aus Akten in riesigen Tonnen gräbt. Jost Leers spielt den alten Mann weich, zaghaft, als fiele es ihm auch jetzt noch schwer, von einer Liebe zu sprechen, die auch nach dem Krieg noch lange verboten war. Malte Roesner als Manfred darf dagegen mit Gads Jugenddouble (Markus Schneider) die Ausgelassenheit der 20er Jahre spielen, den Mut der jugendlichen Gefühle. Regisseurin Natalie Schramm lässt ihnen da inmitten der Tonnen und ohne Requisiten wenig Chancen, diese wilde Atmosphäre spürbar zu machen. Die Musik wechselt hier ins Swingige, aber Roesners Stimme bleibt opernhaft, vielleicht hätte ein Mikro zum Stilwechsel geholfen. Seinen Erzählungen hätte er insgesamt mehr Farben geben müssen.

Das gelingt am Ende Miriam Sharoni in Heggies „Another Sunrise“ vortrefflich. 2000 in Braunschweig als Bernsteins Maria erfolgreich, zeigt sie in dem Monolog der Widerstandskämpferin Krystyna die Ausdruckskraft ihres dramatischer gewordenen Soprans. Das geht bis zum Schrei, wenn sie aushalten muss, dass Juden geprügelt werden, deren Sachen sie im KZ zu archivieren hat, wodurch sie überlebt. Doch Heggie kann die Musik auch ausdünnen zu trauriger Klarinette mit verlorenem Streicherzupfen. Christina Sieverts Regie sind die Tonnen voller Tonbänder für dieses Stück am nützlichsten. Ein starker Abend mit erstaunlich schöner Musik zu ergreifenden Geschichten bei nahtloser Verzahnung von Oper, Cabaret und Sprechstück.
 
Wieder am 7., 16., 23. Mai, 14., 24., 28. Juni