Szene aus dem neuen Pollesch-Abend im Autokino.

Intellektueller Trash im Cabrio

René Pollesch: Stadion der Weltjugend

Theater:Schauspiel Stuttgart, Premiere:01.07.2016 (UA)Regie:René Pollesch

Schon die Einfahrt in René Polleschs neue Uraufführung für das Staatstheater Stuttgart ist spektakulär. Über den Kassenhäuschen des Autokinos im Vorort Kornwestheim prangt der Titel in leuchtenden Lettern: „Stadion der Weltjugend“. Das ist täuschend echt der DDR-Sportstätte in Berlin-Mitte nachempfunden, die 1992 abgerissen wurde. Drinnen geht es weiter mit verblichener Nostalgie. Auf dem Schotterplatz sitzen Zuschauer in Sportwagen, Kombis und Cabrios. Einige haben sich Klappstühle mitgebracht, trinken Cola oder Bier. Pommes Frites und Popcorn gibt es im Diner. Das Publikum ist Teil des Events, das Pollesch mit viel Video-Tam-Tam, einem hektischen Kamerateam und fünf Schauspielern zelebriert.

Der Bühnenraum, von Barbara Steiner allzu strikt und fantasielos auf das Innere eines Wagens und die fernen Lichter der Stadt beschränkt, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Autokinos mit knutschenden Pärchen in der hintersten Parkreihe, auch „Lovers Lane“ genannt, kennt man fast nur noch aus amerikanischen Filmen. Auf der grünen Wiese bei Stuttgart gibt es das noch. Im Rückspiegel ist auf einer Leinwand im Hintergrund der Kassenfüller „Ice Age – Kollision voraus“ zu sehen, während auf der anderen Schauspieler über Repräsentation im Theater und über den Niedergang männlicher Frauendarsteller im 17. Jahrhundert nachdenken. Den Ton gibt’s über eine UKW-Frequenz im Autoradio.

Phrasendreschmaschine, Theorieschleuder, intellektueller Trash – Polleschs rasantes Pop-Theater funktioniert auch im Autokino, in dem in den 60er- und 70er-Jahren meist Horrorgestalten über die Bühne jagten. Seine Filmzitate von „Raumschiff Orion“ bis zum Autokino-Thriller „Targets“ mit Horror-Star Boris Karloff sind zu dick aufgetragen. Auch Blaulicht-Jagden mit der Kamera wirken ausgelutscht. Dennoch geht Polleschs intelligentes Konzept auf. Das liegt nicht zuletzt an fünf starken Schauspielern, die der verwirrenden Kunsttheorie Leben einhauchen. Auch die Souffleurin ist dabei, verweist darauf, dass alles nur Theater ist.

Bühnenstar Martin Wuttke, jahrelang als Tatort-Kommissar zur besten Fernseh-Sendezeit zu erleben, dekonstruiert brillant Künstleridentitäten. Nichts als ein „menschlicher Anschlussfehler“ bleibt in Polleschs klugem Text vom einstigen Star übrig, der sich mal mit Menjou-Bärtchen, mal mit blondem Toupet in Szene setzt. Der Autor und Regisseur entwickelt seine Texte mit den Spielern, schöpft aus ihren Biografien. Respektlos trumpft Julischka Eichel auf. Sie stemmt sich gegen „den Terror der Natürlichkeit“, will nur Männerrollen spielen. „Die Kunstkacke hat keine Zukunft“, schleudert ihr Powerfrau Abak Safael-Rad entgegen. Mit Manuel Harder und Christian Schneeweis fechten die drei einen erfrischenden Diskurs aus.

Griffig macht Polleschs Regie deutlich, dass hinter den Phrasen verletzliche Menschen stecken. Bühnenarbeiter blasen eine überlebensgroße Gummipuppe mit drallen Brüsten auf. Wenn Martin Wuttke in deren Schoß versinkt und dann von ihren kräftigen Schenkeln rutscht, moniert er die „tragische Fallhöhe“, die es im Filmgeschäft nicht mehr gibt. In Momenten wie diesem kommt Polleschs Kritik am Kulturbetrieb schön zum Tragen.