Foto: Blick in die Installation "Elephants the Rooms" im HAU Berlin © Dorothea Tuch
Text:Anna Opel, am 4. Juni 2022
Der erste Blick fällt auf einen Spiegel im Foyer: Auch ich bin Bewohnerin des Elfenbeinturms. Entlang des Bühnenhauses sind im Foyer des HAU 1 14 Screens so angeordnet, dass man sie nicht alle gleichzeitig sehen kann. „Elephants in Rooms“ lädt ein zur Suche nach Übereinstimmung und Differenz zwischen den 14 Settings. 14 Kammern im Elfenbeinturm, 14 Teetassen, 14 private Orte von 14 Handykameras selbst gefilmt. Die Inszenierung der einzelnen Sets tritt erst auf den zweiten Blick zutage: Sammelsurium der Klischees westlicher Innerlichkeit – gepflegte Kleidung, Teetasse, Blumenarrangement, Tisch und Lampe. Safe Spaces des Bürgertums, von denen aus sich die Welt gut betrachten lässt.
Der Elefant im Raum sind die Probleme, die so groß und so allgegenwärtig sind, dass sie nicht zur Sprache kommen. Die offensichtlichen Privilegien, die Whiteness, die Geschichte der Welteroberung, die uns zu dem gemacht hat, was wir sind. Don’t look up. Während vor dem Fenster unserer Isolationszelle die Welt untergeht, bleiben wir mit uns selbst beschäftigt. „Black Tea, White Milk, Black Tea, White Milk“, wiederholt eine Frau wie einen Kinderreim. Eine andere berichtet, worüber beim Tee nicht gesprochen wird: Hierarchie, Gewalt in der Ehe, Diskriminierung von Muslimen bei Einwanderungsgesetzen in Indien – all die blinden Flecken, all die verdrängte, in unseren Systemen institutionalisierte Gewalt.
Das eigene Zimmer als Lebensraum und Bühne, der Platz am Fenster als Schnittstelle zwischen Heim und Welt. Sieben Performerinnen des Kollektivs Gob Squad und sieben Freund*innen aus China und Indien formen den Chor der Vereinzelten. Unterstützt von einem suggestiven Soundscape (Chris Umney) folgt er einer Choreografie, die punktuell in synchrone Aktionen mündet. In den Isolationszellen passiert wenig, aber im Zusammenspiel ergibt sich das sprechende Panorama des Ähnlichen.
Indirekt beschwört die Vervielfältigung des verfeinerten Settings herauf, was auf den Screens nicht zu sehen ist: Krieg, Hunger, Kampf um Ressourcen. Die Performerinnen, die an unserer Stelle stehen, gießen den Tee auf, arrangieren die Blumen, reißen kunstvoll eine Figur aus Papier aus, falten Papierschiffchen, klampfen auf einem neuzeitlichen Zupfinstrument. Und sie verkleiden sich: Mit einem Kissen auf dem Kopf werden alle Performerinnen zu Figuren aus einem Historienfilm, schlüpfen in die Zeit, in der die folgenreichen Eroberungen gemacht wurden. Nach einer Weile springen die Filme auf andere Bildschirme, sodass sich immer neue Nachbarschaften ergeben.
Nabelschau des Bürgertums
Mit der Produktion reflektiert das Kollektiv am eigenen Beispiel und spektakulär undramatisch die conditio des bürgerlichen Selbst. Weiße Fragilität in extenso. Keine Story. Zu sehen ist: eine Berliner Altbau-Wohnung, eine kleine Küche in Shanghai, einen Balkon in Bangalore, ein Zimmer im Landhaus in Bayrischzell mit rot-weiß-karierten Gardinen und andere Settings mehr. In ihrer Nachbarschaft habe es einen Anschlag auf den Geldautomaten gegeben, das Plastik war geschmolzen. Ein Auto hat gebrannt, direkt vor ihrer Tür, erzählt eine Performerin.
Die Stärke der Darstellung liegt in der Ambivalenz, nur ein Hauch von Künstlichkeit, der leicht affektierte Blick ins Objektiv der Kamera, der Zwang zur Selbstvergewisserung hält uns davon ab, nach draußen zu gehen, zu reagieren. Man muss eine Weile geduldig zusehen, bis die Ausschnitte dieser Welt zu sprechen beginnen. Bis die Elefanten sich zeigen. Auch „Elephants in Rooms“ reproduziert den Mechanismus der bürgerlichen Nabelschau, bringt ihn aber immerhin zur Sprache.
Die Wellen am Strand von Plymouth, die auf einer Leinwand auf der großen Bühne zu sehen sind, bewegen sich in die falsche Richtung, weg vom Strand. Wird die Geschichte der Eroberungen, die von hier ausgingen (wie der Programmzettel verrät) umgekehrt? Wäre das eine gute Nachricht? Und wenn ja, für wen? Wir verlassen das Foyer des HAU mit einem Kater von allzu viel Empfindsamkeit. Doch auf dem Vorplatz in der Stresemannstraße sind wir zwar auf der Straße, aber noch im selben Film: Es wird Tee aus dem Samowar gereicht.