Foto: Vorhang auf Vorhang in "Pupurstaub", inszeniert von Sebastian Hartmann © JU_OSTKREUZ
Text:Detlev Baur, am 19. Mai 2014
Nach 45 Minuten könnte es dann losgehen, die sechs Akteure, die mehrfach den Vorhang auf und zu zogen, nicht enden wollend vor der zugezogenen Glitzergardine zu irischen Volksweisen tanzten und auch schon kurz vom „drunken sailor“ chorisch sangen, sitzen nun zu Hause auf einem Teppich. Doch dann muss die Wasserpfeife mit Schläuchen versehen werden, auch das dauert ewig – und der erste Schwung des Publikums entweicht nach draußen.
Sebastian Hartmanns Inszenierung der Komödie „Purpurstaub“ von Sean O’Casey provoziert von Beginn an das Publikum, indem es genussvoll alles auf der Bühne in die Länge zieht. Bekanntlich ist gutes Komödienspiel vor allem eine Frage des Timings, Hartmann und seine sechs Schauspieler sowie der Musiker Steve Binetti verderben das Fest über vier Stunden hinweg gründlich. Dabei geht Hartmann nicht zimperlich vor; zum Geschenk fürs verwöhnte Frauchen gibt es eine riesige Walze und dazu viele platte Sprüche, ein Huhn wird als Rennkuh verkauft und Schießereien grundsätzlich mit einer Waffe pro Hand ausgetragen.
Die gezielte Verzögerungstaktik ist dramaturgisch gesehen vielleicht gar nicht so dumm. Denn in „Purpurstaub“ ist bald abzusehen, dass die beiden englischen Neureichen auf ihrem altehrwürdigen Landsitz in Irland nicht richtig ankommen werden; von ihren Handwerkern und irischstämmigen Frauen werden sie ausgenommen und im Chaos verlassen, eine Flut beendet schließlich den Traum vom alternativen Leben. Das vergebliche Warten ist also das Grundthema der Inszenierung, die Unfähigkeit zum Komödienspiel korrespondiert mit dem scheiternden Lebenstraum der Figuren.
Schauspielerisch ist das Ergebnis jedoch arg dürftig: Es wird schlecht Dialekt gesprochen – der geizige Engländer schwäbelt sehr unnatürlich, sein Compagnon spricht grundlos wienerisch, das aber wenig überzeugend. Am liebsten berlinern die Schauspieler sinnlos, und verbergen lange ihr Talent. Dominant ist das improvisierende Anti-Theater, dessen Provokationen zugleich präpotent wie dröge wirken. In der von mir besuchten zweiten Vorstellung forderte eine Zuschauerin eine Erklärung vom ausgiebig seine Eier-Lege-Nummer verzögernden Peter Rene’ Lüdicke, woraufhin sie eher platt abgebügelt wurde. So einfach scheint es nicht zu sein, das Publikum zu Reaktionen herauszufordern und dann mit seiner kritischen Haltung umzugehen.
Nach zwei Stunden, wenn nur noch der harte Zuschauerkern ausharrt, kommt es zuweilen zu interessanter Menschendarstellung, werden Charaktere zumindest kurzzeitig angerissen und entwickeln sich im stummen Spiel schöne, wenn auch kryptische Bilder, etwa mit einem Ritter, der sich erschießen will. Wenn aber per Video der Autor O’Casey selbst zum Zeugen für ein neues Theater jenseits der tradierten Formen aufgerufen wird, drängt sich schon die Frage auf, ob sich Sebastian Hartmann nicht viel zu wenig auf die Provinz in Recklinghausen und später (am produzierenden) Schauspiel Stuttgart einlässt und aus einer altklugen, verstaubten Berliner Perspektive mit halbgarer Provokation scheitert; damit ähnelt er den Hauptfiguren, die in „Purpurstaub“ mit falschen Ideen am falschen Ort sind.