Foto: "Konzert für eine taube Seele" mit Ragna Schirmer in Halle. © Gert Kiermeyer
Text:Joachim Lange, am 27. Februar 2012
Auch wer nichts weiß über Maurice Ravel, der kennt seinen Bolero. Und bei einem Abend, der sich auf eine zauberhaft liebevolle Weise dem Franzosen annähert, der 1937 an den Folgen einer Gehirnoperation starb, kommt dieser Marken-Zeichen-Hit natürlich auch vor. Ganz kurz. Aus einer Spieldose. Natürlich mit einem ironischem Augenzwinkern. Die neueste Kreation des Puppentheaters in Halle nennt sich „Konzert für eine taube Seele“ und heißt im Untertitel „Ein Spiel für Ragna Schirmer und Puppen“. Das klingt wie ein Abend zwischen allen Genre-Stühlen. Und das ist er auch.
Aber Christoph Werner, der nach seinem Intermezzo als nt-Intendant zu dem zurückgekehrt ist, was er seit langem sehr gut kann und mit Herzblut macht, nämlich ein großes Puppentheater auf kleiner Bühne, jenseits von wohlfeiler Kinder-Bespaßung (die es natürlich auch gibt), hat sich nicht zwischen die Stühle gesetzt, sondern schwebt mit Witz, Poesie und Liebe zu seinem Gegenstand, gleichsam auf den Flügeln der Musik. Da kommt natürlich nichts vom Band, sondern aus dem Herzen und den Händen der wunderbaren Pianistin Ragna Schirmer, die sich obendrein wie selbstverständlich in das kleine Ensemble aus Ganzkörperpuppen einfügt. Hinter einem großen Zauberspiegel, den Oliver Proske schräg im Raum gestellt hat, sitzt sie meist an ihrem Flügel, erscheint, wie aus dem Nichts und spielt einzelne Sätze aus Ravels Klavierzyklen Spiegel (1905), Kaspar der Nacht (1908) und Pavane für eine verstorbene Prinzessin (1899). Zwischen und zu den einzelnen Sätzen werden vor und im Spiegel Szenen der Erinnerung eingeblendet. Aus der Kindheit und mit dem Bruder Eduard, der für Ravel der Mensch blieb, der ihm am nächsten war. Oder er lässt mit trockenen, knappen Antworten einen jungen enthusiastischen Journalisten abblitzen. Er muss sich sogar mit Mühe und Not einer Anhängerin erwehren, die seine Genialität durch ein Kind von ihm weitertragen möchte.
Vor dem Spiegel stehen sein Krankenlager nach einem Unfall und der Liegestuhl in der Klinik. Dort versucht er vergeblich, die Veränderungen in seinem Gehirn, die ihm immer unheimlicher werden, einzelne Worte rauben und dann sogar verhindern, dass er die Musik, die er noch im Kopf hat, aufs Notenpapier zu bringen, zu kurieren. Und man sieht den teuflischen Tod, als schwarzen Gondoliere, der Ravel immer wieder ins Wasser stößt und ihn auf dem OP-Tisch schließlich erwürgt. Allerdings behält der natürlich nicht das letzte Wort, denn das musikalische Genie flüchtet sich zu Ragna Schirmer auf den Schoß und man meint, in dem wunderbar melancholischen Gesichtsausdruck mit dem Puppenbauer Hagen Tilp den Komponisten ausgestattet hat, jetzt ein Lächeln zu sehen. Während der Tod auf der andren Seite des Zauberspiegels verzweifelt, weil ihm diese Seele offensichtlich durch die Lappen gegangen ist.
Christoph Werner ist ein Schmuckstück gelungen. Kathrina Kummer, Nils Dreschke, Sebastian Fortak und Lars Frank sind als Puppenführer nahezu unsichtbar, als Synchronsprecher plausibel und schlagen sich auch als Kapitän oder Arzt in ihrer eigenen Gestalt. Und mittendrin liefert Ragna Schirmer die Musik und ist die Seele des Ganzen. Ganz gleich, wie man das nun nennt: es stimmt irgendwie alles und ist großartig.