Foto: Paintball statt Schützenfest: Ensemble und Chor der Opéra national du rhin in der ersten Szene des "Freischütz" © Klara Beck / Opéra national du rhin
Text:Joachim Lange, am 18. April 2019
Es gibt gute Gründe, Drohnen für Teufelszeug zu halten. In Jossi Wielers und Sergio Morabitos Freischütz-Inszenierung an der Opéra national du rhin in Strasbourg sind sie tatsächlich so etwas wie das Auge und die Stimme Samiels. Schon zu Beginn schwebt der Schatten eines solchen Flugobjektes über Vorhang und Hintergrund. Für ihreLandschaftsprospekte hat sich Ausstatterin Nina von Mechow von den Welten des bildenden Künstlers Alekos Hofstetter inspirieren lassen und sie ins Räumliche von Försterhaus und ein paar urbanen Versatzstücken erweitert. Die Wolfsschlucht, diesen noch in jeder „Freischütz“-Inszenierung zentralen Ort für den Brückenschlag zwischen vornationaler deutscher Romantik über die Untiefen der Geschichte und deren Ablagerungen in der kollektiven Psyche bis in die Gegenwart, ist dann ganz dieser teuflischen Art von Kriegsführung vorbehalten. Projektionen zeigen die Anonymität überseeischer Kommandozentralen, die mit den Kriegszielen, samt kollateraler Opfer, per Knopfdruck zusammentreffen. Die Freikugel als Keimzelle.
Rein theatralisch begegnen sich in dieser Wolfsschlucht gestaffelte Kulissenhänger mit comicartigen Hofstetter-Felsen, ein ganz konventionell seine Kugeln brauender und gießender Kaspar, ein warum auch immer von oben einschwebender Max, ein als Scherenschnitte durchs Bild geisternder Pegasus, „der Mutter Geist“ und die in den Fluss springende Agathe mit den bekannten Videoprojektionen moderner Kriegsführung.
Und doch landete diese Melange des Grauens nicht den Gruselvolltreffer, den der musikalische Furor von Webers Musik hier eigentlich ermöglichen würde. Das geht letztlich auch der finalen Pointe der Inszenierung so. Wenn zum Schulterschlussfinale von Fürst und Eremit, also dem Uralt-Machtkompromiss zwischen Staat und Kirche, alle nach oben gen Himmel blicken, dann taucht da nicht der Finger Gottes (oder wenigstens das Lächeln der Sonne) auf, sondern der moderne Bote seines Konkurrenten wirft seinen Drohnen-Schatten übers glaubenswillige Volk. Das ja vielleicht doch nur einer ganz großen Fake News aufsitzt? Hier erkennt nur Kilian, was wirklich los ist. Der hat sich in eine Art gerade noch für alle tolerablen Wahnsinn geflüchtet und versucht, den Schatten mit der Schere abzuwehren.
Nicht diese Drohnen-Metaphorik ist aber das Problem der Inszenierung, sondern die Übertragung der ihr eingeschriebenen Distanziertheit auf jede Figur und jede Szene. Und damit auf das ganze Stück. Wie schon in ihrem Stuttgarter „Fidelio“, der ja auch so ein zentrales musikalisches Erbstück mit hochproblematischen, manchmal arg peinlichen Sprecheinlagen wie der „Freischütz“ ist, drücken sich Wieler und Morabito ehrenwerterweise nicht vor den Sprechtexten, lassen sie aber gleichsam zur Seite weg, mit dem Etikett „ist eh nix“ runterleiern. Der Gewinn, den das bei versierten Kennern der Texte durch die bewusste Verfremdung durchaus haben mag, stellt sich aber nicht ein. So wie sich das in die genauso distanzierte Spielhaltung einfügt, führt es die Texte nämlich nicht vor, um neugierig auf sie zu machen und sie von allen Seiten zu betrachten, sondern stellt sie am Ende doch nur bloß. So wie die Truppe, die zu Beginn in Uniformen, mit Paintball-Waffen und 3D-Brillen Krieg spielt. Zwischen den blauen und roten Tarnfleck-Uniformierten tauchen dann auch noch ein paar auf Alemannische Fastnacht Maskierte auf. Der Auftakt wirkt wie ein Motivationscamp für Manager zum Schärfen ihrer Durch- beziehungsweise Zuschlagskraft. Bei denen der Chef (als Herr Erbförster) und der Typ leicht neben der Spur (Jean-Christophe Fillol als spielintensiver Kilian) engagiert mitmachen. Erste Lektion: Mobbing. Und Mobbing-Abwehr.
Ännchen und Agathe finden sich in einem der Kulissenhäuschen wieder – ein Jungmädchenzimmer in Rosa. Mit Leiter zum Dach hinauf. Und mit Nero dem Kettenhund als Stofftier. Der Rieseneber, der hinten mal kurz reingeschoben wird, bleibt eine Behauptung, die man – so wie die Mädels auch – übersehen könnte. Die Brautjungfern erledigen den Superhit der Oper eher beiläufig – den Jägerchor machen die Herren im Straßenanzug zu einer spielerischen Jagdnummer in Tanzstundenmanier auf die willig mitspielenden Brautjungfern. Die Totenkrone steckt Agathe nicht nur locker weg, sondern setzt sie samt weißer Maske auch auf. Beim Probeschuss dann zielt Max unmissverständlich auf Kaspar und trifft. Dass der Eremit (Roman Polisadov) plötzlich neben Ottokar (Ashley David Prewett) auf der Dachplattform über den Köpfen der anderen auftaucht, dem Fürsten den Handschlag verweigert, der aber dann macht, was der langhaarige Althippie im Ruhestand vorschlägt, hat sicher was zu bedeuten. In der Drohnenzentrale werden sie schon auswerten, was. …
Leider war der Straßburger „Freischütz“ keine musikalische Sternstunde. Im Graben kann Patrick Lange am Pult des Orchestre symphonique de Mulhouse sicher noch einige Ruppigkeiten und Wackler im Laufe der Aufführungsserie abschleifen. Frank van Hove muss seinen Erbförster Kuno nur etwas zähmen, Lenneke Ruiten ist keine raumgreifende, aber doch eine feine Agathe, Josefin Feiler das erfrischende blonde Ännchen an ihrer Seite. Ob Jussi Myllys es schafft, den deutlichen Abstand, den sein Max an vokaler Souveränität zu seinem Widersacher Kaspar hat, zu verringern, scheint unwahrscheinlich. David Steffens machte (wie so oft in Freischütz-Produktionen) den Finsterling zum vokalen Anführer der Protagonisten.
In ihren gemeinsamen Stuttgarter Jahren haben Jossi Wieler und Sergio Morabito das wichtigste Opernhaus im deutschen Südwesten auch mit vielen ihrer gemeinsamen Regiearbeiten geprägt. Für ihr Frankreichdebüt in der Nach-Stuttgart Zeit folgen sie einer ästhetischen Neujustierung, für die schon 2014 ihre „Tristan und Isolde“- und dann 2015 ihre „Fidelio“-Inszenierungen stehen. Die damit verbundene Emanzipation von der kongenialen Bildwelt einer Anna Viebrock kann man durchaus auch bedauern.