Foto: Rainer Furch und Natalie Forester in der "Orestie" in Kaiserslautern © Stephan Walzl
Text:Björn Hayer, am 4. Februar 2014
Diese Familien ist wahrlich verflucht: Zur Erringung seines Sieges im Trojanischen Krieg opfert zuerst Agamemnon seine Tochter Iphigenie, später, nach dessen Rückkehr vom Schlachtfeld, rächt seine Gattin Klytaimestra wiederum deren Ermordung, bis schließlich der gemeinsame Sohn, Orest, seine Mutter tötet. Die Geschichte von Rache und Gegenrache in Aischylos Tragödie „Die Orestie“ ist schnell erzählt und, was die Erklärungskraft für Natur Abgründe der menschlichen Seele anbetrifft, von zeitlosem Glanz.
In Kaiserslautern bringt derzeit Johannes Zametzer das Drama in einer modernen Übersetzung von Peter Stein in solider, aber keineswegs mutiger Machart auf die Bühne. Insbesondere der erste Teil kommt bis zu Agamemnons Ankunft und Tod wirkt statisch und unnahbar. Die Chormitglieder tragen Kleider der vierziger Jahre; umgeben von allerlei Requisiten, darunter eine abgedeckte Stuhlgruppe sowie ein umgekippten Klavier, wühlt manch einer gedankenlos im Sand herum; andere prophezeien die bevorstehenden Katastrophen des unbeugsamen Schicksals – Das Ganze ein Bild der Ruinösität, wirklich gegenwärtig werden dabei weder die Figuren noch die existenziellen Fragen des Dramas. Erst in der abschließenden Gerichtsszene, in welcher sich Orest der Verantwortung für den Muttermord stellt, unternimmt der Regisseur einen etwas tollpatschigen Versuch der Aktualisierung. Das Tribunal mit Apollo als Showman-Anwalt und den Erinyen, den wilden Rachegöttinnen, zeigt sich als ironisches Medienspektakel unter der Diskokugel, was sich allerdings angesichts der bisher um Ernsthaftigkeit bemühten Inszenierung eher der Lächerlichkeit preisgibt.
Nichtsdestotrotz gewinnt das Spiel mit einer klugen Bildsprache im zweiten Teil insgesamt spürbar an Dichte und Format. Während die synchronen Näharbeiten der Bürgerinnen der Polis an einem langen, schwarzen Stofftuch sinnbildlich die schier undurchbrechbare Rachekette veranschaulichen, ringt Orest mit blutiger Axt um die Hinrichtung seiner Mutter. Die Szene um das Flehen der Frau mit entblößter Brust und den von Selbstzweifeln geprägten Zorn des eigenen Kindes gehört überhaupt zu den intensivsten Momenten der Aufführung. Natalie Forester und Daniel Mutlu erwecken mit all ihrer spielerischen Ausdrucksstärke die Tragik und das Leiden ihrer Figuren am Fatalismus zum Leben. Sie stehen im Konflikt einander als Sklaven ihrer Geschichte gegenüber und tragen dabei letztlich dasselbe Los. Dass Orest nach seinem Mord im roten Kleid Klytaimestras in den Vordergrund tritt, zeigt: In diesen Verstrickungen ist niemand frei von Schuld. Auch wenn der der letzte männliche Erbe des Hauses der Atriden am Ende von einem weltlichen Gericht freigesprochen wird, trägt er seine Mutter und die mit ihr verbundene Schuld buchstäblich auf immer mit sich herum. Fazit: Gegenwartsbezogen oder gar visionär ist dieses Theater zwar nicht unbedingt, die Figuren mit ihren Irrungen und Brüchen erscheinen aber trotz alledem in einem neuen, reizvollen Licht.