Foto: In New York auf der Suche nach der Miss U-Bahn des Monats: Gabey (Jeffery Krueger), Chip (Andreas Rainer) und Ozzie (Benjamin Sommerfeld) © Kirsten Nijhof
Text:Joachim Lange, am 27. Januar 2019
Leonard Bernstein gehört zu den sympathischen Amerikanern: große Geste, großes Herz, großes Talent. Beim Komponieren. Auch beim Dirigieren war er ein Künstler und obendrein ein jüdischer Weltbürger mit politischem Instinkt. Allein seine „West Side Story“ machte ihn 1957 mit knapp 40 Jahren unvergesslich. Sie ist – egal wo – ein Publikumsmagnet. Auch an seiner philosophisch angehauchten Oper „Candide“ versuchen sich ambitionierte Häuser immer mal wieder. Als im letzten Jahr der 100. Geburtstag des 1990 verstorbenen „Lenny“ im Kalender stand, war jedenfalls ganz zu Recht viel Gutes über ihn und natürlich auch von ihm zu hören.
Die Musikalische Komödie reicht jetzt in Leipzig Bernsteins Musical-Erstling „On The Town“ nach, mit dem er 1944 mit ziemlichem Wow-Effekt die Weltbühne des Musicals (und überhaupt) betrat. Das Ganze ist eine euphorische Liebeserklärung an die Stadt New York und ihre Menschen. Es ist der leichte, gleichsam unschuldig ausgelassene Vorläufer des anderen New York-Musicals „Wonderful Town“, das 1953 folgte. Da erkunden zwei Schwestern vom Lande die große Stadt, lernen sie von fast ganz unten kennen, finden aber ihre große Liebe, so nach dem Motto: Big Apple – raue Schale, weicher Kern.
Dieses New York-Bild gibt es Mitte der 1940er Jahre gleichsam noch in Reinkultur. Da heften wir uns an die Fersen der drei Matrosen Gabey (Jeffery Krueger), Chip (Andreas Rainer) und Ozzie (Benjamin Sommerfeld) bei einem vierundzwanzigstündigen Landgang in New York. Gabey versucht sofort mit Hilfe seiner Freunde die plakatierte „Miss U-Bahn des Monats“ zu finden. Das gelingt ihm wider aller Wahrscheinlichkeit so gut wie auf Anhieb. Sie ist zwar nicht der begehrte Star, wie er glaubt, sondern arbeitet im Tingeltangel, ist aber, wie’s der Drehbuchzufall will, seine Jugendliebe von daheim. Die Suche nach ihr liefert den roten Faden für eine fulminante, musikalische Nummernrevue voller Temperament und Esprit. Bei ihrem Trip durch die Hochhausschluchten (Bühne: Karin Fritz), zu dem sich die drei getrennt auf den Weg machen, wird Chip von der selbstbewussten, sexy Taxifahrerin Hildy Esterhazy (Zodwa Selele) regelrecht zu sich nach Hause „entführt“. Ozzie gerät im Naturkundemuseum an die geradezu nymphomane Anthropologin Claire de Leone (Nora Lentner). Die erklärt ihn kurzerhand zum Forschungsobjekt für ihre Studie „Der Mann – das unbekannte Wesen“ und „erforscht“ ihn in wirklich jeder Hinsicht. Und der lässt sich von ihrem Eifer freilich auch ohne jeden Widerstand „umhauen“.
Der jeweilige Höhepunkt beim nächtlichen Streifzug durch die verschiedenen Spielarten der Lokalitäten, die das New Yorker Nachtleben ausmachen, ist der jeweilige Auftritt von Angela Mehling als Diana Dream im ersten und Dolo Dolores im zweiten Vergnügungsschuppen, bis sie schließlich als völlig verwitterte Off-Off-Off-Broadwaygröße Dolly Dollar rücklings vom Klavier kippt. Sie steuert damit ein hinreißend komisches Running Gag-Kabinettstück bei. So wie Sabine Töpfer als krächzend jüdelnde Gesangs- und Ballettlehrerin Madame Dilly. Dass die eigentlich schüchternen, „nur“ mit dem üblichen männlichen Selbstbewusstsein ausgestatteten jungen Männer aus der Provinz in der Metropole schlechthin auf ein so geballtes weibliches Selbstbewusstsein stoßen, dass es sie schlichtweg umhaut, wirkt heute wie ein witziger Rollentausch. So harmlos, wie das heute daherkommt, war der beherzte Griff der Frauen nach den Männern in den Vierzigern im damals ja noch viel verklemmteren Amerika kaum.
Die Inszenierung von Cusch Jung, der bei der deutschen Erstaufführung des Musicals 1977 in Kaiserslautern übrigens selbst mit auf der Bühne stand, vertraut voll auf Bernsteins Musik und lässt das romantische New York-Bild der Entstehungszeit (inklusive der Retro-Kostümwohltaten von Alexandra Kica) aufleben. Wenn man in Anbetracht des musikalisch abwechslungsreichen Feuerwerks mal die Unwahrscheinlichkeiten der Handlung beiseitelässt, dann sind an der MuKo drei wirklich unterhaltend mitreißende Stunden zu erleben. Sie entführen geradewegs in ein New York aus dem Märchenbuch eines versunkenen Selbstbildes. Die fabelhaften Protagonisten singen und sprechen so, dass man obendrein auch das Deutsch von Claus C. Henneberg und John Neumeier durchweg versteht. Für das Ensemble, für die Tänzer, den Chor und die Komparsen ist „On the Town“ ein gefundenes Fressen. Dass sie zur Musicalhochform auflaufen, ist nicht zuletzt einem Orchester zu verdanken, dem Stefan Klingele gehörig einheizt, dem Publikum zur johlenden Freude. Wenn das alles so gekonnt verpackt ist, lacht man im großen Vergnügen gerne auch über die vielen kleinen Witze.