Foto: William Goforth, Kathrin Zukowski, Alina Wunderlin und Arnheidur Eríksdóttir (v.l.) in Salieris "Scuola de' Gelosi" im Kölner Staatenhaus © Hans Jörg Michel / Oper Köln
Text:Andreas Falentin, am 4. April 2019
Aus Sicht von uns Nachgeborenen ist Antonio Salieri eindeutig ein Pechvogel. Generationen von Schriftstellern und Komponisten, von Puschkin über Rimski Korsakow bis Peter Shaffer, bastelten über mehr als 100 Jahre an einem Mythos, der für Salieri nicht nur die Rolle eines allenfalls geschickten Musik-Dilettanten vorsah, sondern sogar einen Genie-Mörder aus ihm machte. Und es soll tatsächlich Menschen geben, die das immer noch glauben.
Da tut es gut – und erscheint sogar wichtig –, mal ein Stück erleben zu können wie die 1778 mit großem Erfolg in Venedig aufgeführte „Scuola de‘ gelosi“. Salieri war 28 (also nur sechs Jahre älter als Mozart und keinesfalls, wie uns der Mythos und der „Amadeus“-Film von Milos Forman glauben machen, eine ganze Generation) und schenkte seiner Zeit durchaus ein innovatives Kunstwerk. Das natürlich aus heutiger Sicht etwas grobkörnig erzählt wirkt. An Mozarts tief angelegte Humanität, Rossinis lebensprallen Witz oder gar Offenbachs subversive Eleganz darf man nicht denken. Salieri schafft auch keine Charaktere im engeren Sinne, „La scuola de‘ gelosi“ ist eine reine Typenkomödie. Obwohl etliche Figuren aus Mozarts DaPonte-Opern hier wie vorgestanzt erscheinen. Die Gräfin Bandiera hat bereits überraschend viel von ihrer Standesgenossin im „Figaro“, im Diener Lumaca wittern wir Masetto, Leporello und Figaro und der die Handlungsfäden ziehende, namenlose Leutnant ist eine nicht unsympathische Mischung aus „Cosi fan tutte“-Alfonso und „Figaro“-Basilio. Und die Musik ist durchaus bemerkenswert, nicht nur wegen ihrer handwerklichen Perfektion. Im zweiten Akt etwa gibt es ein Quintett, das in fast aufregender und hochindividueller Weise aus Melodiepartikeln und –fragmenten nach und nach eine dann ungemein phantasievoll durchgeführte Gesangslinie spinnt. Grandiose Musik, die allerdings nicht zur Ausdifferenzierung von Handlung oder zur Vertiefung der Charaktere da zu sein scheint, sondern vor allem für ihre eigene Schönheit und Wirkung.
Und genau hier setzt die Inszenierung von Jean Renshaw an. Sie hat sich von Christof Cremer eine dreifache Drehtür mit drei Rahmen bauen lassen, die unaufhörlich, aber nie gleichmäßig oder rhythmisch, mit- und gegeneinander kreisen, angetrieben von dem als „Carosello Dubbio“ bezeichneten Tänzer Martin Dvoràk, dessen skurrile Bewegungsbrillanz man während der Ouvertüre genießt. Danach wünscht man ihn des Öfteren sonstwo hin, weil er das Bild zu voll macht und damit die Musik überfordert. Wofür er nichts kann. Jean Renshaw hat ihre Karriere als Tänzerin und Choreographin begonnen, was man ihrer vom Theater an der Wien übernommenen Inszenierung deutlich anmerkt. Die 140 Minuten sind durchchoreographiert. Die Bilder sind voll, das Spieltempo ist so hoch wie die Gagdichte. Nicht jeder Witz kommt an, aber viele treffen ins Ziel. Die kleine Schwäche von Renshaws Inszenierung ist, dass sie kaum Ruhepunkte zulässt, die große Stärke, dass sie die Konstellation zwingend klar macht und variiert, aber nie versucht, die Handlung detailliert nachzuerzählen, was aus heutiger Sicht wohl eher läppisch wirken würde. Da treibt der schon erwähnte Leutnant ein Adels- und ein Bürgerpaar in Eifersuchtskrämpfe, während das Dienstbotenpaar sich souverän in einer auf freier Liebe basierenden Beziehung eingerichtet hat. Dafür kreisen Türen, Wände und Requisiten, sind die ebenfalls von Christof Cremer erdachten Kostüme stimmig und oft auch witzig. Vor allem gelingt es Renshaw immer wieder den Abend ins Surreale hochzutreiben, in Momente, wo man nicht mehr genau weiß, ob man sich in der Wiener Klassik oder einem heutigen Kunst-Happening befindet, am bestrickendsten im erwähnten Quintett und im Finals des ersten Aktes, in dem sich alle Beteiligten beim Besuch eines „Narrenhauses“ begegnen.
Im Graben setzt Arnaud Arbet auf angenehme Weise ein Gegengewicht. Mit dem gut disponierten Gürzenich-Orchester ist er den Sängern ein verlässlicher Partner. Er wählt sanfte Tempo-Relationen und legt Wert darauf, Salieris (aus heutiger Sicht zu) subtiles Farbspektrum zu vermitteln. Auf der Bühne steht ein extrem junges Ensemble, größtenteils aus dem hauseigenen Opernstudio. Matthias Hoffmann ist bereits im zweiten Jahr im Ensemble des Hauses – und der überragende Sänger dieses Abends. Individuelle Stimmfarbe, tolle Projektion, Ausstrahlung, Timing und Beweglichkeit auf allen Ebenen verbinden sich zu einer Ausnahmeleistung. Gespielt wird übrigens generell auf sehr hohem Niveau, zumal, wenn man bedenkt, was die Regie an körperlicher Beweglichkeit von den Sängern fordert. Besonders bei den Damen erfreuen darüber hinaus die stimmlichen Potentiale. Kathrin Zukowski verbindet als Gräfin beispielhaft Ernst und Witz und schreitet sicher durch den gewaltigen Tonumfang ihrer Partie, Alina Wunderlin gefällt vor allem durch strahlende Koloraturen, Arnheidur Eiriksdóttir als Dienstmädchen durch große Souveränität in nahezu jedem Bereich. Bei den Herren fehlt es Matteo Loi (Blasio) und Anton Kuzenok (Leutnant) bei bildschöner Stimmführung noch ein wenig an Durchschlagskraft und William Goforth als umwerfend charmantem Grafen etwas an technischem Rüstzeug. Dennoch ist die Ensembleleistung zu preisen, woran auch der die Rezitative zum Blühen bringende Luca Marcossi am Hammerklavier großen Anteil hat.