Foto: Christopher Tonkin und Winnie Böwe in Kurt Weills „Lady in the Dark“ an der Staatsoper Hannover. © Jörg Landsberg
Text:Rainer Wagner, am 18. Oktober 2011
So ist das mit der Mode: Kaum ist etwas 70 Jahre alt, sieht es schon wieder aus wie neu. In der Mode nennt man das Retro, im Theater Repertoireauffrischung. Und weil es bei Kurt Weills „Lady in the Dark“ um Irrungen und Wirrungen im Modezirkus geht, sieht die angejahrte Dame ganz gut aus. In Hannover wurde das selten gespielte Broadway-Musical zu Recht gefeiert, weil die Staatsoper mit diesem Zwitter zwischen Schauspiel und Musical sehr gut zurecht kam. Die Dame im Dunkeln wurde erfolgreich ins Scheinwerferlicht gerückt.
Die Titelheldin lässt sich auch ohne Freuds „Traumarbeit“ verstehen: Heute würde man Liza Elliott wohl als Burn-out-Gefährdete mit Panikattacken und cholerischen Anfällen diagnostizieren und eine frühkindliche Kränkung als Ursache finden. Immer wieder geistert ein Lied durch die Erinnerungen, die ihr ein Psychiater entlockt, aber erst ganz am Schluss, wenn sich das Puzzle zusammenfügt, erklingt „My Ship“ in Gänze. Und siehe da, der Mann ihres Herzens, für den sich die abendfüllend Unentschlossene dann doch entscheidet, kennt dieses Kinderlied auch und singt mit. Winnie Böwe trifft nicht nur hier den rechten Ton trifft., sie meidet Opernpathos, ohne sich im Nightclub zu verlieren.
Die Geschichte springt zwischen Redaktionsbüro, Psychiaterpraxis und den Traumwelten hin und her. Matthias Davids, der in Hannover schon mehrfach gezeigt hat, wie gute (und kluge) Unterhaltung aussieht, koordiniert diese Sprünge punktgenau und hat immer noch einen Einfall parat. Heinz Hauser hat ihm mit einer Spiegelkonstruktion einen raffiniert zu nutzenden Spielraum geschaffen – und später für die Gerichtsszene im Zirkustraumbild auch noch ein pfiffiges Bild. Kostümbildnerin Judith Peters durfte in die Vollen greifen. Man kann gar nicht so schnell hinsehen, wie die Kleider gewechselt werden.
Das alles ist amüsant, wenn die Modeverrückten von Pontius zu Pilates rennen, und es entwickelt den zu erwartenden Kinderzauber im Zirkustraum, in dem Daniel Drewes im Song „Tschaikowsky (und andere Russen)“ 50 russische – oder zumindest russisch klingende – Komponistennamen in einer guten Minute unterbringen will. Diese verbale Zirkusnummer von Songtexter Ira Gershwin war bei der Uraufführung der Durchbruch für Danny Kaye, in Hannover wiederholt Drewes den Song noch mal mit mehr Speed. Und am Ende, nach dem Jubel, zeigt das Ensemble, dass es den halsbrecherischen Song gemeinsam drauf hat. Melissa Kings Choreografie wird vom Staatsoperm-Ballett gewitzt umgesetzt, und das Ensemble demonstriert, wie homogen Schauspieler, Sänger und Sängerschauspieler zusammen arbeiten. Zumal Mark Rohde am Dirigentenpult alles und alle souverän koordiniert.
Am Ende bekommen sich die beiden Modezeitungsmacher Charles Johnson (charmant starrsinnig: Fabian Gerhardt) und Liza Elliott, aber das hat man geahnt, denn was sich neckt, das liebt sich. Und wird von den Augenzeugen geliebt.