Foto: Skype-Szenenfoto: "Die Hausherren" © Prinz Regent Theater
Text:Hans-Christoph Zimmermann, am 24. April 2020
Ob es seismische Ahnung oder pragmatischer Zwang war, der den Autor Rafael Ossami Saidy zu diesem Twohander veranlasst hat: Egal, sein beim Stückewettbewerb „Spiel.Frei.Gabe“ preisgekröntes Dramolett „Die Hausherren“ passt beängstigend gut zum Lockdown. 2019 hatten das Prinz Regent Theater, das Theater an der Rottstraße und das Zeitmaultheater in Bochum und ihren kleinen Wettbewerb ausgeschrieben und drei Preisträger gekürt. Die ersten beiden, Saidy und Carina Eberle mit „Grünes Licht“, sollten eigentlich jetzt in einer Uraufführung vorgestellt werden. Daraus wurde aus bekannten Gründen nichts. Also entschlossen sich Hans Dreher, künstlerischer Direktor des Prinz Regent Theater, und Regisseurin Damira Schumacher zu einer letztlich gelungenen Online-Uraufführung von Saidys Stück, bei der die Schauspieler Pascal Riedel und Helge Salnikau von ihren Wohnungen in Köln und Bochum aus agieren. Die technischen Probleme waren allerdings erheblich. Die Zuschaltung von ca. 30 Zuschauern via Skype klappte nicht, also teilte die Regisseurin ihren Bildschirm mit allen, was entsprechende Qualitätsverluste nach sich zog – die allerdings eine verblüffende Wirkung entfalteten.
Saidys Stück beginnt mit einem erbärmlichen Wohngemeinschaftsstreit um Marmelade. Wieder mal alle, kein Nachschub in Sicht. Fabio (Helge Salnikau) ist stinksauer und überschüttet seinen Mitbewohner Golf (Pascal Riedel) kübelweise mit Schimpfworten. Tränen fließen, es wird zurückgekeilt, werden Entschuldigungen gestammelt. Schon hier deutet sich an, dass man es mit einem Alt-Männer-Paar in der Nachfolge von Harold Pinter oder Samuel Beckett zu tun hat. Das Duo ist seit Jahrzehnten in einer Art Küchenlockdown verbunden, was draußen passiert, bleibt während des ganzen Abends unklar. Ob Apokalypse oder freiwilliger Rückzug, ob Imagination oder Erinnerung, das ist letztlich gleichgültig, bietet aber reichhaltiges Aktualitäts- und Spielmetarial. Regisseurin Damira Schumacher und Ausstatterin Yuni Hwang haben den Lockdown radikal zugespitzt und zeigen die beiden Protagonisten auf dem geteilten Bildschirm fast ausschließlich in rötlich getönter Großaufnahme. Die Hintergründe lösen sich auf, sei es durch den Bildausschnitt, sei es durch die technisch bedingten Unschärfen. Die Kadrierung selbst wird zum Gefängnis, die Linse zum Guckloch. Die verblüffendste Wirkung allerdings entsteht durch einen technischen Mangel: Der Ton läuft vorneweg, das Bild stottert hinterher – was nicht nur die Ästhetisierung wohltuend erhöht, sondern auf eindrückliche Weise den Zerfall der Identität der Protagonisten wie auch ihrer Welt widerspiegelt.
Wie ihre namhaften Vorgänger schwärmen auch Saidys Protagonisten von der Vergangenheit, als die Dinge noch klar und einfach waren, als man sich noch liebte. Heute dagegen herrschen Routine und Bequemlichkeit. Und doch: Die beiden umgurren einander, machen sich Komplimente, flirten gelegentlich. Sie trösten sich mit gemeinsamen Spielen und Golf versteigt sich zu einem kruden Monolog, der zwischen Demiurgenphantasie und Angst vor Entropie schwankt. Die Regie sucht immer wieder nach Möglichkeiten, die beiden Protagonisten über die Ausschnittkante hinweg zu verschalten. Kaum haben sie sich gestritten, gehen die beiden zur Versöhnung „gemeinsam“ schwimmen – Brustschwimmen und gespieltes Absaufen inklusive. Wenn Fabio später polternd und rumorend Ordnung in der Bude macht, schaut Golf ihm mit zugewandtem Kopf zu. Oder der eine umgarnt mit liebevoll klappernden Zähnen seinen Lover, indem er regelrecht sein Gebiss in die Kamera hält. Ein Moment zwischen Liebe und Ekel, dem sich auch der Zuschauer kaum entziehen kann.
Fabio und Golf steigern sich in Kolonial- und Frauenträume hinein, die die Regie von orgiastischem Stöhnen und einem eingeschalteten Fotoreigen der Protagonisten aus Hyperzivilisationstagen begleiten lässt: Supermärkte, peinliche Geburtstagsfilmchen, Waldbrände, sich schminkende Kinder. Das Stück mündet dann in das (Re-)Enactment von Mäßigungsempfehlungen, kriegerischer Auseinandersetzung und einer imaginierten Verhaftung. Die bis dahin rötlich getönten Bilder der trotz oder gerade wegen aller technischen Schwierigkeiten gelungenen Inszenierung hellen sich plötzlich völlig auf. Fabio und Golf haben die „Plätze“ getauscht und scheinen auf der Anklagebank zu sitzen. Die Kleidung der beiden ist geordnet, die Haltung gerade, der Abstand zur Kamera „wohltemperiert“. Das Kamerabild macht plötzlich zur „Realität“, was auf der Bühne eigentlich nur Einbildung zu sein scheint. Doch auch dieses Bild hat letztlich keinen Bestand, es fällt wie die Erinnerung gelegentlich aus, der Bildschirm wird mal auf der einen, dann auf der anderen Seite schwarz. Was bleibt, ist der Ton, sind letzte Worte – Fabios und Golfs last Tape.