Foto: Werner Egks "Peer Gynt"-Oper am Staatstheater Braunschweig. Peter Bording als Peer Gynt und Ekaterina Kudryavtseva als Solveig © Volker Beinhorn
Text:Andreas Berger, am 27. Mai 2015
Peer Gynt, der Phantast und Lügenbold, der sich hinausflunkert in die weite Welt, aber überall und am Ende wörtlich Schiffbruch erleidet. So hat Henrik Ibsen den Hallodri in die Welt gedichtet. Und Werner Egk ihn 1938 vertont. In Dietrich Hilsdorfs stimmiger Regie am Staatstheater Braunschweig kommt der Welt- und Irrfahrer gar nicht raus aus seinem Haus.
Es ist das Haus seiner Mutter, in dem zum Vorspiel der Oper offenbar gerade der Vater gestorben ist. Ob Ingrids Hochzeit, bei der ihn die Dörfler bedrohen und er die Braut entführt. Ob Trollreich, wo er die Trollkönigstochter begehrt, aber vor dem entscheidenden Schnitt ins Auge zurückschreckt. Ob Bar in Südamerika, wo er dubiose Geschäfte treibt: Alles spielt im selben Raum.
Gynt erscheint so wie ein Autist, ein Phantast, dessen Abenteuer und und erotische Ausflüge immer nur im Kopf stattfinden. Und Dorfgesellschaft oder Trollgesellschaft: auch das sind dieselben Leute, mal zivilisiert, mal triebig mit umgeschnallten Genitalien, die sie ebenso würdevoll frei tragen wie ihren Sonntagsrock. Alles Spießer im Gegensatz zu Gynt. Das ist eine sehr überzeugende und bildstark umgesetzte Sicht.
Folglich bricht Hilsdorf auch das Ende: Die Heimkehr zur wartenden Solveig am Küchentisch zeugt eher vom Frust des Ewiggleichen. So legt Gynt im Handstreich Feuer an die Welt, die draußen abflammt: seine innere Welt wird immer lebendig sein.
Grandios gestaltet Peter Bording die Titelfigur. Sein Bariton ist kraftvoll, zu großem Ausbruch fähig. Dabei bleibt die Stimme stets geschmeidig, weich, berührt mit warmem Timbre. Und ein guter Spieler ist Bording zudem.
Auch das Ensemble zeigt sich gut aufgelegt, allen voran Ekaterina Kudryavtseva mit strahlenden Spitzentönen als Solveig, die Gynt mit korngoldschönem Lied am Ende birgt. Moran Abouloff gibt mit aufschwellendem Sopran eine provokant-erotische Trolltochter zu Tangorhythmen. Wird zum Frust nach der Lust nicht Siegfrieds Trauermarsch parodiert? Während die Trollzeremonie mit Kuh- und Bocksmaske karikierter Volksbrauch ist, den folglich überschrillte Volksweisen unterlegen. Das Couplet des korrupten Präsidenten in Südamerika wirkt wie ein Weill-Song. Selcuk Hakan Tirasoglu muss ihn unpassend billig als Angela Merkel mit Hitlerbärtchen spielen, singt bassgewaltig.
Und so klingt auch der trauermarschunterlegte Song des Todes, den Rossen Krastev mit charaktervollem Bass zynisch hintrumpft. Und der Chor über die Moral des Tretens und Getretenwerdens könnte geradewegs aus Kurt Weills „Mahagonny“ stammen.
So klingt Egks Musik über weite Strecken nach allem, was zur Uraufführung 1938 verpönt war. Gynt ist eben eher ein provokanter Hallodri denn nordischer Sinnsucher, merkwürdig, dass das die Nazis mochten. Christopher Hein am Pult des stilsicher aufspielenden Staatsorchesters zeigt viel Gespür für diese Mischung aus Anklängen und Zitaten, wahrt dem Werk aber den einheitlichen Atem, der sich von Gynts anfänglichen dunkel-spröden Selbstbefragungen zu Solveigs letztem Lied zieht. Wie eine düstre Klammer um die parodistischen Abenteuer. Hein sorgt erfolgreich dafür, dass das Wort nie zugepowert wird und die Rhythmen sitzen.
Ein spannender Beitrag zur Repertoireerweiterung. Langer Applaus und Bravos für alle.